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Seeventile: Vorsicht Billigheimer

Warum Armaturen aus üblichem Baumarkt-Messing gefährlich sind

Seeventile: Vorsicht Billigheimer
Diese Armatur wurde wegen des festsitzenden Ventils ausgebaut © Swedesail

Bei der Übernahme eines Gebrauchtbootes gibt es viele Themen. Um dieses hier sollten Sie sich bald kümmern, damit Ihr Boot auf Dauer schwimmt.

Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 30.05.2017, aktualisiert am 04.10.2023

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • warum übliche Messing-Armaturen für Seewasser ungeeignet sind
  • wie Sie Billigheimer erkennen
  • Wegweiser durch den irreführenden Begriffs-Dschungel
  • warum Großserienwerften und leider auch mancher Markenhersteller die billigste Variante nehmen
  • wie namhafte Bootsausrüster ahnungslose Eigner im Unklaren lassen
  • wie Sie sich zu dieser wichtigen Frage Klarheit verschaffen

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Dieser Artikel erscheint in zwei Teilen:

Eine Motor- oder Segelyacht hat einige Zu- und Abflüsse. Die Einbaumaschine kriegt Kühlwasser von außenbords. Die Toilette wird mit Seewasser gespült. Der Ankerkasten, die Plicht und die Achterpiek haben eigene Drainagen. Jedes Waschbecken, Dusche und Toilette hat einen eigenen Abfluss. Bei modernen Booten mit mehreren Waschräumen kommen einige Armaturen zusammen.

Sie sitzen nah an der Wasserlinie oder darunter. Sie sind sicherheitshalber mit Ventilen versehen. Jede Armatur besteht aus der drei Teilen. Der Borddurchführung, dem Ventil mit Absperrhahn und der Tülle zum Anschluss des Schlauchs. Je nach Platzverhältnissen vor Ort ist die Tülle gerade oder gekrümmt. Es gibt sie in

  • Bronze
  • Messing
  • Stahl
  • neuerdings Kunststoff

Bewährte Armaturen aus Bronze, geeignetem Messing oder Edelstahl sind etwas teurer und halten lange. Früher ging jeder Eigner zurecht davon aus, dass die Installation ewig hält, solange sich das Ventil leichtgängig öffnen und schließen lässt. Geöffnete Ventile ersparen dem Eigner im Winterlager teure Frostschäden. Im Frühjahr wird etwas Ballistol oder WD 40 von außen auf die Kugel gesprüht, während ein Helfer im Boot das Ventil bewegt - fertig.

15 oder 40 % Zinkanteil?

Vorsicht bei Messing

Zunehmend üblich, weil billig, ist Messing, wie es sonst in jedem Haushalt an Land zu finden ist. Übliches Messing besteht aus einer nicht seewasserbeständigen Kupfer-Zink-Legierung. Sie ist für Frischwasser an Land gedacht und für Boote in Binnenrevier okay, ansonsten gefährlich.

Denn galvanische Korrosion lässt das Zink im Messing bei Kontakt mit salzhaltigem Meerwasser verschwinden. Die Frage ist, wieviel Zink im Material steckt. Das läßt sich von außen nicht beurtelen und beim Kauf ist letztlich dem Händler zu vertrauen. Bei einem etwa 40-prozentigen Zinkanteil im Billigmessing wird es durch den Schwund des Zinks entscheidend geschwächt. Die Armatur wird undicht und bricht. Das Boot läuft voll und geht unter. Je nach Einbautiefe in der Bordwand mit dem entsprechenden Wasserdruck geht das ziemlich schnell.

Kriechströme im Hafenbecken, die eiserne Spundwand oder ein Stahlschiff nebenan beschleunigen den Schwund des Zinkanteils. Ebenso die Elektrifizierung der Yachten, 220 Volt-Anschlüsse, eine unsachgemäße Elektroinstallation in der Nachbarschaft oder die abgebrutzelte Zinkanode eines Nachbarboots. Dann hält die Armatur nicht einmal die vorgeschriebenen fünf Jahre. Höherwertige Messinglegierungen mit einem Zinkanteil unter 15 Prozent gelten diesbezüglich als sicher.

Unglaublicher Pfusch bei Armaturen im Unterwasserschiff

Nun haben sich die Hersteller etwas einfallen lassen. Einen Teil der Armatur, das sichtbare Ventil, gibt es vernickelt. Man kennt diesen Look vom beschichteten Chrom-Vanadium Schraubenschlüssel. Der sieht gut und wertig aus. Mit dieser Optik gilt das für Salzwasser ungeeignete Messing gemäß ISO-Norm für die Dauer von fünf Jahren ernsthaft als «korrosionsbeständig». Nach dieser Norm darf es während fünf Jahren keine Anzeichen von Korrosion geben. Danach ist das Seeventil regelmäßig zu prüfen und gegebenenfalls zu ersetzen. Nach spätestens fünf Jahren soll der Bootseigner also sämtliche Armaturen regelmäßig angucken, obwohl man von außen gar nichts sieht. Die Entzinkung beginnt innen, wo die Armatur permanent mit Seewasser Kontakt hat, außen nicht.

Die Sache mit der Auszinkung

Großserienhersteller wie Bavaria und auch Großhändler sagen, vernickelte Ventile entsprächen der ISO Norm. Auch hätte es bisher damit ihres Wissens keine Probleme gegeben. Wie der Kieler Yachtsachverständige Uwe Baykowski aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung als Bootsbaumeister und Gutachter weiß, stimmt das nicht. Er kennt 30 Fälle, wo die Armaturen infolge Auszinkung durchgegammelt sind. Zwei Schiffe sind nach seiner Kenntnis deshalb gesunken. Der Hamburger Bootsbauer Jan Böhm, er ist regelmäßig zu Wartungsarbeiten an vielen Yachten auch am Mittelmeer unterwegs, berichtet von einem werftneuen Großserienboot, das nach bereits einem Jahr im Süden aus diesem Grund gesunken ist.

Auch der englische Yacht-Gutachter Paul Stevens hat hunderte Messingarmaturen in ganz unterschiedlichen Booten, billigen und teuren, gesehen. Er klagt: «Warum um alles in der Welt wird ungeeignetes Material für eine so wichtige Funktion unter der Wasserlinie genommen?» Nun, weil es billiger ist. Deshalb wird für wenige Euro im Einkauf eine Yacht im Wert von mehreren hunderttausend € riskiert.

Tülle futsch: Diese Messingarmatur war 27 Jahre auf einem Boot der angesehenen dänischen Luffe Werft eingebaut
Tülle futsch: Diese Messingarmatur war 27 Jahre auf einem Boot der angesehenen dänischen Luffe Werft eingebaut © Uwe Baykowski

Liegt das Boot ganzjährig in warmem Salzwasser, wird Messing durch Auszinkung eher geschwächt, als in einem nördlichen Revier, wo das Boot die Hälfte des Jahres an Land steht.

Vorsicht mit «Sondermessing»

Was können Sie nun beim Kauf eines Gebrauchtbootes oder nach Übernahme der Yacht tun? Fragen Sie den Verkäufer oder Voreigner des Bootes, was eingebaut ist. Wurden die Armaturen mal gewechselt? Was wurde genommen? Wenn Sie Glück haben, kann er zu dieser wichtigen Frage etwas sagen und es gibt vielleicht sogar Quittungen, wo das Material genannt ist. Wahrscheinlich ist es leider nicht.

Vorsicht bei

  • Messing 58, auch Tonval, CW617N, CZ122 oder OT58 genannt
  • unspezifiziertem Messing, vom Fachhändler Toplicht irreführend als «Sondermessing» bezeichnet. Was bei sogenanntem Sondermessing zutrifft, ist, dass er zur Nutzung in Seewasser besonders ungeeignet ist.
  • vernickeltem ISO-Norm Billig-Messing mit der Prägung CR (corrosion restistant)
  • Ventilen mit Hebeln aus üblichem Stahl oder sprödem Aluguss: Niemand braucht rostende Hebel mit abblätternder Farbe oder solche, die brechen
  • einer Mischung verschiedener Metalle wie Messing und Niro

Angesehene Werften wie Hallberg-Rassy dokumentieren ihre Erzeugnisse vorbildlich, beispielsweise mit einem Ventilplan. Sollte es den für ihr Boot nicht geben, notieren Sie die Anzahl der Borddurchlässe. Zählen Sie bei Besichtigung des aufgebockten Bootes, wie viele Ab- und Zuflüsse es gibt und gucken unter Deck nach, wie die Armaturen aussehen.

Eine Motoryacht oder ein Tourensegelboot üblicher Größe hat ohne weiteres ein Dutzend Borddurchführungen. Die Armaturen werden anhand ihrer Nennweite in Zoll bezeichnet. Meist sind 1, 1 ¼ oder 1 ½ Zoll Abflüsse, ¾ Zoll Zuläufe und beim Auspuff 1 ¾ eingebaut. Beim gediegenen englischen oder skandinavischen Werftbau von beispielsweise Camper & Nicholsons, Baltic, oder Nautor's Swan haben Sie hinsichtlich der Armaturen wahrscheinlich gute Karten. Leider ist es nicht sicher. Denn der Voreigner könnte den Borddurchlässen und Ventilen des Bootes ein ungewolltes «Downgrade» von sicherem Messing oder Bronze in bester Absicht verpasst haben.

Wie Sie Billigheimer per Handy an Bord ausfindig machen

Schauen Sie also nach, was für Armaturen an Bord eingebaut sind. Bei schlecht zugänglichen Installationen helfen Taschenlampe und Spiegel. Fotografieren Sie, was eingebaut ist. Mit dem Handy kommen Sie fast überall hin. Grünspan an den Armaturen weist auf langlebige Bronze hin. Das ist gut.

Das Messing dieser freigeschabten Borddurchführung ist einwandfrei
Das Messing dieser freigeschabten Borddurchführung ist einwandfrei © Swedesail

Schaben Sie das Antifouling mit einem Schraubenzieher vom außenbords sitzenden Bund der Borddurchführung. Glänzt das Messing gold ist es in Ordnung. Gibt es rote Verfärbungen, hat die Auszinkung begonnen. Jetzt wissen Sie, welche Armaturen zu wechseln sind. Leider haben Sie damit noch keine Klarheit über den Zustand des aufgeschraubten, im Boot sitzenden Ventils und der Tülle. Im Zweifel schneiden Sie die Armatur im Herbst raus, besorgen neue Teile und bauen sie bei nächster Gelegenheit ein.

Lässt sich das Ventil nicht mehr bewegen, bauen Sie es aus
Lässt sich das Ventil nicht mehr bewegen, bauen Sie es aus © Swedesail

In diesem Zusammenhang: Ein weiterer Anlaß zum Wechsel ist, wenn sich das Ventil nicht mehr betätigen lässt, weil die Kugel schwergängig oder fest im Gehäuse sitzt. Mit etwas Glück, Geduld und handwerklichem Geschick lässt sie sich noch etwas bewegen und wieder gängig machen. Je nach Pflege und Zustand müssen Sie alle 10 - 15 Jahre mit festgebackenen Ventilen rechnen. Gelegentliches Fetten und Einsprühen des Ventils von außen unter dem aufgepallten Boot verlängert die Lebensdauer. In diesem Zusammenhang der Hinweis, dass Ventile im Winterlager zur Vermeidung von Frostschäden nach der Wartung offen bleiben sollten.

Blick in das halb offene, fest sitzende Ventil einer Cockpitentwässerung
Blick in das halb offene, fest sitzende Ventil einer Cockpitentwässerung © Swedesail

Der Verkauf von «Sondermessing» ist irreführend

Dass angesehene Bootsausrüster wie Toplicht überhaupt «Sondermessing» anbieten und ihre Kunden nicht klipp und klar über die Gefahren informieren, ist ein Skandal. Wie kann man seine Kunden derart für dumm verkaufen?

Streng genommen gehört das sogenannte «Sondermessing» aus dem Sortiment des Yachtausrüsters. Die Kollegen sind doch alle Praktiker und wissen, dass ein Großteil der Boote mal in See- oder mindestens Brackwasser liegen. Kein Eigner denkt bei einem Revier-Wechsel vom Binnengewässer an die See daran, die Armaturen zu wechseln. Ein Boot ist ein Freizeit- und Gebrauchsgegenstand. Da gehören universell geeignete, sichere Armaturen rein, auch wenn sie etwas teurer sind.

Hier wird wie bei Pfennigfuchsern a la Bavaria und ähnlichen Großserienherstellern im Einkauf zulasten des Kunden am falschen Ende gespart. Messingarmaturen kriegt man in jedem Baumarkt, nur eben deutlich günstiger. Niemand geht dazu zu Toplicht oder einer "Werft".

Bei der sogenannten Opferanode, einem komplett aus Zink bestehenden Bauteil, ist der Materialschwund erwünscht. Das Wegbrutzeln des vergleichsweise unedleren Materials schützt andere Metalle vom Getriebe, Welle, Wellenbock und Propeller vor der Zerstörung durch die gefürchtete galvanische Korrosion. Hier erfahren Sie zu diesem Thema mehr.

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VG