Werftporträt7 min Lesezeit

Bénéteau - Benjamins Traum

Vom Schiffsjungen zum Gründer des Branchenriesen Benéteau

Bénéteau - Benjamins Traum
© B�n�teau

Wie schon bei Evinrude oder Chris Craft beschrieben, gibt es in der Wassersportbranche einige Unternehmen von Weltruf, deren frühe Geschichte und Historie spannende und oft unerwartete Details birgt.

Von Michael Kunst, veröffentlicht am 10.01.2017, aktualisiert am 16.12.2022

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Die Geschichte der Bénéteaus von B wie Benjamin bis A wie Annette.
  • Interessante Details über die französische Seefahrt im vorletzten Jahrhundert.
  • Wie es die Bénéteaus schafften, die Werft im Familienbesitz zu behalten.
  • Geschichten rund um eine Familie, die selbst bei den segelverrückten Franzosen einen besonders Status genießt.

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Es war einmal ein aufgewecktes Kerlchen namens Benjamin, der ziemlich verrückte, wenn nicht sogar gewagte Träume hegte. Liest sich ein bisschen wie der Beginn eines Märchens? Soll auch so sein – denn die folgende Geschichte hat durchaus das Zeug dazu. Also Klein-Benjamin war gerade mal sechs Jahre alt, als er seine Familie im heimatlichen St. Gilles im französischen Departement Vendée verlassen musste. Oder verlassen durfte, besser gesagt. Denn die Eltern waren bitterarm (okay, ich lasse das jetzt mit dem Märchenstil) und Benjamin hatte noch acht Geschwister, die alle irgendwie durchgefüttert werden mussten.

Glücklicherweise hatte der etwas besser situierte Onkel Francois einen Narren an dem Kleinen gefressen, weil dessen Träumereien sich genau mit seinem Alltag deckten: Der Onkel war Seemann und Benjamin schwärmte den ganzen Tag davon, was er später einmal als Kapitän für ferne Länder auf wundervollen Segelschiffen bereisen werde.

Endlich Schiffsjunge

So kam es, dass Benjamin Bénéteau zwar seinen Namen behielt, aber von seinem Onkel und seiner Tante adoptiert wurde. Kaum war Seemann Francois wieder von See zurück, erzählte er dem Kurzen die tollsten Abenteuer und nährte dessen Lust auf baldigst selbst erlebtes.

Wir schreiben das Jahr 1872 und Benjamin Bénéteaus größter Wunsch sollte endlich in Erfüllung gehen: Nach jahrelangem Fantasieren durfte er endlich als 13-jähriger Schiffsjunge auf der Schaluppe «Elisa» anheuern. Für heutige Verhältnisse ein sträflich junges Alter, für damalige Zeiten normaler Kinderarbeitsalltag.

Während der nun folgenden harten Jahre an Bord der «Elisa» änderte sich Benjamins Träumerei in einem essenziellen Punkt: Er war weiterhin in Schiffe verliebt, hatte allerdings den harten Alltag auf See bereits zur Genüge genossen und wollte fortan «nur noch» Schiffbauer werden.

Ab dem Jahre 1879 absolvierte er seinen Militärdienst, nach dem man ihm schließlich eine Ausbildung zum Bootsbauer ermöglichte. 1884 gründete der mittlerweile zu einer «guten Partie» herangewachsene Ben nach Lehr- und Gesellenjahren seine ureigene Werft im heimatlichen Hafenstädtchen St. Gilles, die wie damals üblich seinen Familiennamen trug: BÉNÉTEAU.

Kleine Werften waren in diesen Zeiten echte Hightech-Betriebe für Holzarbeiten, die ähnlich wie Kunsthanderker nur vom Allerfeinsten produzierten. Nicht zuletzt, weil die Konkurrenz in jedem Fischerort groß war. Und natürlich, weil Geschwindigkeit zählte, die wiederum nur durch hohe Qualität erreicht wurde.

Früh im Regattazirkus: Die ersten Figaro-Boote kamen aus dem Hause Bénéteau
Früh im Regattazirkus: Die ersten Figaro-Boote kamen aus dem Hause Bénéteau © B�n�teau

Je frischer der Fisch…

Moment mal, Geschwindigkeit? Tatsächlich bestimmte damals (wie übrigens auch heute noch häufig) die Frische des an die Quais und Molen gelieferten Fangs den Preis. Welches Boot also als Erstes aus der Dorfflotte mit seinem Fang festmachte, erhielt auch den höchsten Preis für seine Fische, die ja möglichst schnell ins Landesinnere transportiert werden sollten.

Da wir von Zeiten reden, in denen der Fischfang noch auf Segelkuttern und –luggern ohne jegliche Motorunterstützung erledigt wurden, tat ein gewiefter Bootsbauer gut daran, seine Produkte so zu konzipieren und zu bauen, dass sie deutlich schneller segeln, als die Boote der Konkurrenz.

Und genau dafür hatte Benjamin Bénéteau ein gewisses Händchen. Seine Boote schlugen sich im alltäglichen Wettkampf gegen die Naturgewalten und die Konkurrenz recht gut. Die Werft hatte schnell den Ruf eines innovativen, dynamischen und wertbeständigen Betriebs (wie man das wohl heute beschreiben würde) und die Geschäfte florierten für den kleinen Träumer Ben, aus dem ein großer Bootsbauer geworden war.

Erster Fischkutter unter Motor

Innovativ und dynamisch – auch wenn er das wohl so nie bezeichnet hätte, handelte Benjamin Bénéteau im Laufe der nächsten Jahre weiter nach dieser Maxime.

1909 war er der erste Bootsbauer an der französischen Atlantikküste, der mit relativ hohen Investitionskosten einen Fischkutter mit Motor baute. Womit er jedoch zunächst nur Spott erntete und sogar angefeindet wurde: Die Bewohner seines Heimatortes waren davon überzeugt, dass das qualmende, stinkende und lärmende Ungeheuer auf See die Fische vertreiben würde.

Das Erfolgsmärchen der Bénéteaus ging jedoch unbeirrt weiter. Die Werft wuchs, die Aufträge – auch für Motorkutter – häuften sich und nur eine Katastrophe wie der 1. Weltkrieg konnte Benjamin stoppen. Danach war alles anders und doch so ähnlich…

André Bénéteau senior, etwas verschlossener, aber genialer Sohn des Gründers
André Bénéteau senior, etwas verschlossener, aber genialer Sohn des Gründers © B�n�teau

1928 übernahm Benjamins einziger Sohn André die Werft, die sich nach dem großen Krieg und dem Tod des Vaters nicht wieder aufgerappelt hatte. Die «Luft war raus» und jetzt sollte ausgerechnet der allzu verschlossen wirkende, mitunter etwas belächelte Sohnemann den Laden wieder flottmachen? Die Bevölkerung von St. Gilles war äußerst skeptisch, Aufträge blieben vorerst aus und die Fischer orderten lieber bei der Konkurrenz.

Doch André war vielleicht verschlossen, was aber nichts über seine Leidenschaft aussagt: Der junge Bénéteau hatte ein untrügliches Gespür fürs Künstlerische und «schöne Linien». Linien von Booten, wohlgemerkt.

Bau einer Pinasse nach Andrés Ideen
Bau einer Pinasse nach Andrés Ideen © B�n�teau

Tolle Linien

So standen die Einwohner von St. Gilles Maulaffen feilhaltend ein Jahr später vor der ersten Pinasse aus Kiefernholz, die vom «jungen Bénéteau» entworfen und von den alten Gesellen der Werft gebaut worden war. Derart gewagte und dennoch schöne Formen hätte man an einem Boot noch nie gesehen, war die einhellige Meinung. Und richtig schnell soll die Pinasse ebenfalls gewesen sein.

Womit Bénéteau wieder buchstäblich im Rennen war. André heiratete Georgina, die der Werft mit neuen Vermarktungsideen den gewissen Aufschwung gab und 1934 wurde André Junior geboren. Acht Jahre florierte das Geschäft erneut, etablierte sich der Name entlang der französischen Atlantikküste und es sollte wieder nur ein großer Krieg schaffen, den erneuten Aufstieg der Werft zu stoppen.

Annette Bénéteau mit ihrer Mutter Georgina
Annette Bénéteau mit ihrer Mutter Georgina © B�n�teau

Nach der Libération 1945 musste die nahezu vollständig zerstörte französische Fischfangflotte wieder neu aufgebaut werden. Was für einen kurzen Zeitraum bei Bénéteau, auch für einige alte Mitstreiter, die den Krieg überlebt hatten, erneut Arbeitsplätze sicherte. Doch die Fünfziger- und frühen Sechzigerjahre waren in Frankreich vom langsamen, aber steten Aufstieg großer Fischfangflotten geprägt, die wiederum traditionelle Fischer in den Ruin trieben.

Neue Käufer, neuer Werkstoff

Entsprechend musste sich André Bénéteau nach einem neuen Wirkungskreis umsehen. Hierfür freundete sich der Bootsbauer zunächst mit einem modernen Werkstoff an, dem Polyester. Was ihn besonders faszinierte: Formen und Linien waren kaum mehr Grenzen gesetzt.

Also begann Bénéteau mit dem Bau kleiner Boote (offen und mit Schlupfkajüte), mit denen der Franzose seiner Liebe zum Meer und Fischfang frönen konnte. Resultat: Zunächst Dutzende, später Hunderte waren bald auf kleinen BénéteauFischerbooten entlang der Küsten unterwegs, die mit Motorisierung und kleiner Beseglung vielen Freizeitskippern Lust auf Meer und mehr machten.

Vorhang auf für André junior. Auch er sollte die direkte und geniale Linie der Bénéteaus fortführen. Seine Leidenschaft und Talent: Zeichnen. U. a. aus Andrés Feder entsprangen Boote, die den großen, bis heute anhaltenden Erfolg der Werft zementierten. Seine Schwester Annette Bénéteau und ihr späterer Ehemann Roux kümmerten sich um den Vertrieb, ums Marketing und um die immer weiter ausgebauten Produktionsketten.

Bei ihrem ersten Salon Nautique in Paris stellte die wachsende Werft aus dem Vendée fest, dass keines der anderen, ausgestellten Boote so aussah wie ihre. Und kein anderer Stand war so belagert wie der von Bénéteau. Alle wollten die Fischerboote, mit denen man weiter, viel weiter kommt…

Der Rest ist Geschichte. Eine Geschichte, die mit der Träumerei des kleinen Benjamin begann und sich nunmehr in dritter Generation fortsetzt.

Annette Bénéteau
Annette Bénéteau © B�n�teau

1982 ist Bénéteau die größte Werft der Welt für Segelboote und geht 1984 an die Börse. Während der Neunzigerjahre vergrößert sich die Werft – immer noch unter der Direktive von Annette Bénéteau radikal durch den konsequenten Aufkauf großer Konkurrenten in Frankreich. In der Groupe Bénéteau sind nun der älteste Konkurrent im Wassersportsektor Jeanneau, zudem die Edelmarke
Lagoon, Wauquiez und CNB.

Zur Produktpalette der Werft gehören heute neben den unten aufgeführten Yachten im Segel- und Motorbootsektor auch Mobilhomes, mobile Unterkünfte und Microcars (Autos, die ohne Führerschein gefahren werden dürfen).

Segelboote (Auszüge)

  • Oceanis (Fahrtenboote)
  • First (Regatta und performance-Cruiser)
  • Figaro
  • Heritage

Motorboote (Auszüge)

  • Gran Turismo
  • Antares
  • Flyer
  • Swift Trawler
  • Heritage

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