Abenteuer9 min Lesezeit
Mit Göran Schildt segeln
Erinnerung an den wunderbar neugierigen Mittelmeersegler und talentierten Erzähler
Der Finne Göran Schildt erkundete zwei Jahrzehnte mit einem kleinen Zweimaster das Mittelmeer, das Schwarze Meer und den Nil. Mit seinen fabelhaften Reisebüchern inspirierte er mindestens eine Seglergeneration.
Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 19.09.2024, aktualisiert am 07.11.2024
Das erwartet Sie in diesem Artikel
- Was man mit einem handlichen Zweimaster erleben kann
- Segeln und kulturelles Interesse
- Einblicke in Schildts lebendigen Erzählstil
- Göran Schildts Leben
- Freundschaft mit dem Architekten Alvar Aalto
- die Christine und Göran Schildt Stiftung
- der weitere Kurs der «Daphne» vom Wrack zum Schmuckstück
- wie man an seine Bücher kommt
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Als langjähriger Segler beobachte ich seit einer Weile, wie unterschiedlich Eigner ihre Boote nutzen. Für den Bastler und Projektmenschen geht es vorrangig ums Boot selbst. Er renoviert sein gebraucht gekauftes Schnäppchen liebevoll in jahrelanger Arbeit und bereitet die ganz große Seereise vor, die vielleicht nie stattfindet. Für ihn ist der vorgebliche Weg bereits das Ziel. Das Boot selbst ist als zweite oder eigentliche Heimat sein gehegtes und gepflegtes Glück. Denn bereits die Zeit an Bord ist ein wunderbarer, wohltuender Lebensstil.
Was machst Du mit Deinem Boot?
Der Genießer verbringt mit seiner Familie oder Freunden die Wochenenden am liebsten im Hafen. Bereits an Bord findet man Abstand vom Land- und Arbeitsleben. Man muss dazu nicht unbedingt ablegen. Andere wiederum machen gern Party an Bord. Sie beginnt mit dem geselligen Sundowner.
Der auf Dauer gefährlichen Versuchung, die herrliche Auszeit an Bord mit Alkohol zu betäuben, wird oft nachgegeben. Im Juli 24 ertrank ein betrunkener Eigner beim Verlassen seines Bootes am Alten Strom in Warnemünde. Diese traurige Geschichte geschah vermutlich gegen Mitternacht, zwei Liegeplätze nebenan, während ich an Bord meines Bootes schlief.
Bootsreiseart
Und es gibt Eigner, die ihr Boot ähnlich wie ein Wohnmobil als Schneckenhaus zur Erkundung ferner Küsten nutzen. Den Wind dazu gibt es ähnlich wie schöne Ankerplätze umsonst. Sie genießen das Abenteuer und die Freiheit, sich auf fremde Kulturen einzulassen. Solche Reisen bereichern als bleibende Erinnerungen lebenslang.
Bootslebensart von Segeln und Exkursionen
Ein beinahe vergessener Pionier dieser Bootsreiseart war der finnische Kunsthistoriker, Journalist und Buchautor Göran Schildt (1917–2009). Mit seinen Büchern inspirierte er seit den Fünfzigerjahren die Nachkriegsgeneration der Segler, darunter meinen Vater. Schildt ermutigte ihn, den Traum vom Boot und Reisen kreuz und quer durch das Mittelmeer nicht nur zu träumen, sondern ihn an Bord des Bootes zu leben, wo dieser Artikel jetzt nach vielen Reisen – endlich mal – geschrieben wird.
So entdeckte ich vor Jahrzehnten „Das Sonnenboot. Mit Daphne auf dem Nil“ im Bücherschrank meiner Eltern. Er befand sich etwa 260 Meter über dem Meer im Südwestfalen, das ist allertiefstes Binnenland. Gut 300 Seiten mit „24 Abbildungen auf Kunstdrucktafeln und zwei Kartenskizzen“. So wie Bücher damals illustriert wurden. Das Ganze klassisch zwischen Leinen bespannten Buchdeckeln gebunden. Zweite Auflage F.A. Brockhaus, Wiesbaden 1958.
Es berichtet eher von einer strapaziösen Expedition als einem unterhaltsamen Bootsurlaub, und zwar aus der Perspektive eines neugierigen Reisenden. Klassische Reiseliteratur mit einer Hingabe und Entdeckerfreude, wie sie so nur damals möglich war und heute allenfalls in antiquarisch erhältlichen Büchern zu entdecken ist.
Eine beeindruckende Fracht an Bildung, Interesse und Neugier. Bescheiden und eingängig erzählt, dabei so gehaltvoll, dass man es mehrmals lesen kann und auch sollte. Manche seiner geschichtlichen Einblicke und Gedankengänge sind anspruchsvoll. Man findet das sonst vielleicht noch in alten Merian-Heften, als es noch um Land, Leute und Sehenswürdigkeiten ging, weniger sogenannte Geheimtipps, Hideaways oder ferne Wellness-Oasen.
Ersegelt und geschrieben 1948 bis 68, als Ausbüxen aus dem Landlebensalltag unüblich und Reisen in den sonnigen Süden ein Privileg und bislang nicht als konfektionierte Auszeit buchbar waren. Bereits drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, Europa lag noch in Schutt und Asche, steuerte «Daphne» von Stockholm kommend durch die französischen Kanäle und Flüsse Rapallo an.
Damals war das ganze Mittelmeer ein allenfalls von vermögenden Engländern sporadisch besegelter Geheimtipp. Man musste nur, wie Göran Schildt und seine Frau Mona Morales-Schildt den Mut haben, sich der Schönheit, auch den Zumutungen des Gewässers auszusetzen und mit den rustikalen Verhältnissen der Fischer- und Industriehäfen zurechtkommen. Marinas gab es damals nicht. Vor allem musste man sich auf das etwas andere Verhältnis zu Zeit, Absprachen, sprich die mediterrane Mentalität einlassen. Das konnte der umgängliche, geduldige und geschickte Schildt anscheinend gut.
Sechs Segelreisebücher veröffentlichte er 1954 – 71 und 78 dann noch den Epilog seiner Zweitexistenz im sonnigen Süden. Er heißt „Mein Leben auf Leros“. Da war Schild schon an Land gegangen.
Vom Leben der Bootsvagabunden
So, nun ist es höchste Zeit zu einer Kostprobe der eindringlichen und filmischen Erzählweise Schildts. Jeder, der einmal tage- und nächtelang weite Strecken gesegelt ist, kennt dieses Gefühl, in der Weite des Meeres klein, Wind und Wogen auf beklemmende Art und Weise ausgeliefert zu sein. Schildt beschreibt zum Auftakt des Buches die Seereise von Beirut nach Alexandria so:
„Endloses Meer, grauer Himmel, ein kleiner Motorsegler, der sich mit zwei Menschen an Deck gegen Wind und Seegang vorwärts arbeitet. Als ich mit Mona zur Seite am Ruder saß, musste ich daran denken, wie wir wohl den Passagieren im Flugzeug erschienen, das über unseren Köpfen dahinbrauste. Ein Bild ohne Inhalt und Zusammenhang, ein unverständliches Fragment. Dabei war es die völlige äußere Wahrheit über uns: Meer, ein paar Planken, Segel und zwei zusammengekauerte Gestalten in Ölzeug.“
Und weiter schreibt er: „Das unfreundliche Wasser um uns konnte jedes beliebige Meer sein, aber wir wussten, welche Häfen uns hinter dem Horizont erwarteten; das nasse Deck, das für einen Außenstehenden so wenig einladend aussah, war unsere Daphne, und die, die neben mir saß, war Mona. Mona und Daphne – zwei Mächte, die mein Leben bestimmten und seit langen mit ihm verwoben waren. Wenn ich erklären soll, warum ich an diesem Novembertage hier war, 100 Seemeilen südöstlich von Zypern, muss ich mit ihnen beiden beginnen.“
Mona und das Leben der Bootsvagabunden
Göran Schildt
Vermutlich würde jeder Segler mit dem Schiff beginnen. Schildt beginnt mit folgender liebevoller und differenzierter Beschreibung seiner Frau: „Es gibt viele Segler, aber wenige, die eine Frau haben, die ebenso wie sie selbst von den Mächten des Meeres und des Windes gefangen ist. Dass Mona in vielleicht noch höherem Maße als ich das Leben der Bootsvagabunden liebt, ist für mich eine beglückende, aber eigentlich unerklärliche Tatsache. Sie macht das nämlich auf ihre Art, ohne sich für nautische Probleme zu interessieren oder die Manöver zu beherrschen … Aber keiner ist eifriger als sie, wenn es gilt, zu einer langen Fahrt ins Unbekannte aufzubrechen, und keiner ist glücklicher, wenn wir in einem Hafen einlaufen und Fühlung mit all dem Neuen bekommen, das uns dort erwartet.“
Welche Wohltat gegenüber der Geschwätzigkeit blutarmer Reiseschilderungen in Zeitschriften, heutiger YouTube-Segler-Kanäle, wo zeitfressend Banalitäten ausgebreitet werden und den Erfordernissen der Klickzahlen und der Lebensart zuliebe viel Haut gezeigt wird. Und welch liebevoll klarer Blick auf das Metier, den auch Nichtsegler verstehen.
Segeln und die verschiedenen Kulturen rings um das Mittelmeer aus der Perspektive eines Kunsthistorikers, diese seltene Kombination lebte Göran Schildt. Seine Mittelmeer-Odyssee wurde mit einer für heutige Verhältnisse verblüffend kleinen Ketsch in spartanischen Verhältnissen gesegelt. Einem gerade mal zehn Meter langen Mittelplichtboot, in dem sich soeben mit Stehhöhe kochen, leben und lesen ließ. Ganze 6 ½ t schwer und mit gerade mal 160 cm Tiefgang Buchten- und Flußtauglich.
Wie es sich für einen Skandinavier gehört, kannte Schildt den Umgang mit Schot und Pinne, das Handwerk des Segelns von Kindesbeinen an, als er mit einer Jolle die finnischen Schären entdeckte. Das naturnahe Bootsleben mit Ansteuerung der bewaldeten Klippen, die Begegnung mit Fischern, all das war so prägend wie sein kunstgeschichtliches Interesse.
Vor seinem Studium an der angesehenen Sorbonne erkundete er Südfrankreich. Bei einem Abstecher nach Mallorca entdeckte er dann die Freuden des Segelns unter südlicher Sonne. Ein Venedig Besuch vertiefte sein Interesse an mediterraner Kunst und Kultur. Seitdem wusste er, dass er es von Bord aus weiterleben möchte. So wurde Segeln und Schauen auf der Basis seiner unbändigen Neugier, seines beeindruckenden geschichtlichen Wissens und kunstgeschichtlichem Interesses Thema seines Lebens.
Nach eineinhalbjährigem Krankenhausaufenthalt infolge einer schweren Verwundung als Infanterist im finnischen Winterkrieg studierte er zunächst in Helsinki und promovierte über den Maler Paul Cézanne. Zugunsten des ungebundenen Lebens mit der Möglichkeit langer Reisen entschied er sich gegen eine angebotene Professur.
1946 zog er nach Schweden, wo Schildt 1951 bis 1990 als Redakteur bei der schwedischen Zeitung Svenska Dagbladet arbeitete – überwiegend, soweit er nicht zu den Sommersabbaticals – und Recherchen für seine Bücher – südwärts verschwand. So erkundete er das ganze Mittelmeer, die Adria, Ligurien, Ägäis, 1955 dann den Nil bis Wadi Halfa. 1963 ging es ins Schwarze Meer nach Odessa und Sewastopol. Im Unterschied zu den meisten Bootsmenschen, die bekanntlich von einer gewissen Gehfaulheit geplagt sind, unternahmen Schild und seine Partnerinnen viel an Land. Dazu gab es das Boot mit Beiboot, Fahrrädern und Moped. Dazu waren sie aufgebrochen.
1941 bis 1964 war er mit der Glas-Künstlerin Mona Morales-Schildt (1908–1999), der Tochter eines spanischen Vaters und einer Schwedin, danach mit Kristina Schildt verheiratet. 1965 wurde ein zweites Zuhause auf der griechischen Insel Leros bezogen. Hier bekam das Boot einen neuen Heimathafen, bis er es 1984 schweren Herzens aus gesundheitlichen Gründen verkaufen musste.
«Daphne» im Glashaus
In den Händen verschiedener Eigner hatte das Boot nun ein wechselvolles Schicksal. Schwer von einem Hurrikan in der Karibik beschädigt, vergammelte es vollends in Florida. Dann wurde es in Finnland liebevoll restauriert, wo es seit einer Weile vollständig aufgetakelt in einem Glashaus steht. Die Planken stehen so gut im Lack, dass das Ehepaar Schildt sofort zu neuen Abenteuern ablegen könnte.
Dort schmückt «Daphne» das Restaurant des Forum Marinum Museums von Turku. Ähnlich wie Pilar, das berühmte Angelboot von Ernest Hemingway in einem Vorort von Havanna auf Kuba zu besichtigen ist. Auch diesem Boot wurde durch die Abenteuer an Bord, lesenswerte Bücher eines talentierten Erzählers und der geistigen Dimension jenseits der bloßen Nautik diese seltene Ehre zuteil. Wie eingangs beschrieben ist es bloß die Frage, was man aus seinem Boot macht.
Gehen Sie mal mit Göran Schildt segeln!
Ebenso wichtig wie Schildts Segeltörns und seine Reiseschriftstellerei war seine jahrzehntelange Freundschaft mit dem berühmten finnischen Architekten Alvar Aalto. Aalto besuchte die Schildts gelegentlich an Bord, auch auf der erwähnten Nilreise. Schildt veröffentlichte 1962 bis 98 zahlreiche Bücher über die Arbeit des einflussreichen Gestalters und Architekten, der in Finnland geradezu verehrt wird und international als stilbildende Persönlichkeit eine große Bedeutung hat.
Die Christine und Göran Schildt Stiftung
Über das Boot und die Bücher hinaus erinnert heute eine Stiftung an Schildt. Inspiriert von Alvar Aaltos Stiftung gründete er sie zwecks finnisch-griechischem Kulturaustausch und zur Pflege seiner Hinterlassenschaft. Sie beherbergt viele archäologische Kulturgegenstände aus Griechenland, außerdem zahlreiche Exponate seines Freundes Alvar Aalto. Es gibt Ausstellungen, Publikationen, Vorträge, Seminare, wissenschaftliche Projekte und natürlich ein allgemein zugängliches Archiv.
Und wie kommen Sie nun an die Bücher? Die Suche nach alten Ausgaben ist per Mausklick via Internet bequem. Googeln Sie die Buchtitel. Sie finden zahlreiche, teils verblüffend günstige Angebote. Oder Sie bestellen einfach einen Band in Ihrer nächstgelegenen Bibliothek, die jeden Titel per Fernleihe besorgt. Wie der Einblick in den wunderbar bescheidenen Erzählstil zum Auftakt des „Sonnenbootes“ zeigt, ist es ein großer Genuss und auch ein bereicherndes gedankliches Abenteuer. Segeln Sie mit Göran Schildt! Es geht auch im Winter daheim auf der Couch.
Göran Schildts Bücher
- 1954 „Im Kielwasser des Odysseus“ F.A. Brockhaus
- 1955 „Die Wunschreise“ F.A. Brockhaus
- 1957 „Das Sonnenboot“ F.A. Brockhaus
- 1959 „Das Meer des Ikaros“ F.A.Brockhaus
- 1965 „Das goldene Vlies“ F. A. Brockhaus
- 1969 „Das goldene Vlies. Auf den Spuren der Argonauten“ Fischer Taschenbuch Nr. 1022, Frankfurt am Main 1969
- 1971 „Segeln im Mittelmeer – 20 Jahre unterwegs mit Daphne“ Wiesbaden, Brockhaus 1971
- 1978 „Mein Leben auf Leros, F. A. Brockhaus, Wiesbaden 1978, ISBN 3-7653-0293-7.
«Daphne»
Konstruktion Jarl Lindblom
Werft/Baujahr Abo Werft 1936
Länge über Deck 10,70 m
Länge Wasserlinie 8,70 m
Breite 2,75 m
Tiefgang leer 1,55 m
Verdrängung 6,5 t
Motor 16 PS Olympia Diesel, auf besser erhältliches Petroleum umgerüstet
Segelfläche 46 qm
1947 gebraucht gekauft
Verkauf aus gesundheitlichen Gründen 1984