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Klassiker6 min Lesezeit

Papas Boot

Ernest Hemingways «Pilar» ist das berühmteste Motorboot der Welt

Papas Boot
«Pilar» im Garten der Finca Vigía in San Francisco de Paula © Gorupdebesanez, Casa di Ernest Hemingway a Cuba, la barca 'El Pilar' 01, CC BY-SA 3.0

Seit Jahrzehnten steht das wahre Zuhause des größten Anglers der Weltliteratur in einem Garten. An Bord dieses Bootes wurde Großwildfischen zum Sport im "Hemingway Stil". Die Erlebnisse mit «Pilar» inspirierten ihn zu "Der alte Mann und das Meer" und "Inseln im Strom".

Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 25.02.2021, aktualisiert am 05.09.2023

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • die Geschichte der «Pilar»
  • welche Angeltouren Hemingway mit seinem Boot machte
  • wie Pilar zum Prototypen des big game Fishing wurde
  • Einzelheiten zur namhaften Werft und zum Wheeler-Werftbau
  • was Hemingway an Bord alles änderte

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Boote gehören ins Wasser, traditionell aus Holz geplankte unbedingt. Doch ist dieser betagte 38-Füßer nicht irgendein Gefährt. Deshalb steht die Hemingway-Devotionalie eine halbe Autostunde im Südosten Havannas aufgebahrt wie ein Artefakt auf dem Grundstück jenes Landguts, wo Hemingway 1939 bis '60 lebte.

Ein Dach schützt das muffige Gebälk aus Eiche und Zeder vor der gnadenlosen Sonne und den Regengüssen der Tropen. Die Bugverzierung mit den Werft-Emblemen auf den schwarzen Planken ist noch da. Die Positionslaternen sind matt, der Chrom der Lüfter ist welk, die Poller sind verwittert. Die gekippten Fenster des überdachten Steuerstands lassen etwas Luft an Bord.

Zugunsten der Renovierung von Hemingways Schreibenklave bei Havanna sah die amerikanische Regierung ausnahmsweise von ihrem unsinnig-sturen, für die Einheimischen und das Land zerstörerischen Kuba-Embago ab. Die «Pilar» verkörpert, Engstirnigkeit und Ideologie hin oder her, ein spezielles Kapitel amerikanischer Geschichte.

In diesem Haus auf Key West lebte Hemingway in den Dreißigerjahren
In diesem Haus auf Key West lebte Hemingway in den Dreißigerjahren © Mariamichelle/Pixabay

Das Boot zum Haus

Von einer gediegenen Afrika-Safari abgesehen lebte Hemingway in den Dreißigerjahren mit seiner zweiten Frau Pauline Pfeiffer, einem Mannequin und Moderedakteurin aus vermögenden Verhältnissen und drei Kindern in einem zweistöckigen Haus im Kolonialstil auf Key West. Die umlaufende Veranda bot durch die Palmwedel Blick aufs Meer. In diesem Refugium schrieb er "Die grünen Hügel Afrikas" und "Wem die Stunde schlägt". Hier verlegte er sich von der Großwildjagd auf's Fangen kapitaler Fische, wurde sein Interesse am Angeln zur Obsession. Nach ausgiebigen Angeltouren mit Freunden zu den Dry Tortuga Inseln oder nach Kuba bestellte der Mittdreißiger bei der New Yorker Wheeler Werft ein eigenes Boot. Es erhielt den Spitznamen seiner Frau.

Ein Inserat für die "Playmate Serie" der New Yorker Werft
Ein Inserat für die "Playmate Serie" der New Yorker Werft © Wheeler Yacht Company

Wer eine zehntägige Angeltour auf 65 Tage verlängert, ist im Thema. So wurde «Pilar» mit einigen Änderungen im Mai 1934 an Hemingway übergeben: einer bequemeren Koje an Steuerbord, der zweiten Maschine für spritsparend langsame Fahrt, zusätzlichen Tanks für 500 Meilen Reichweite und einer kupferbeschlagenen Köderbox mit praktischem Seewasserzulauf und Abfluss. Um den Fang an Bord zu heben, war das Heck flacher gehalten. Beim Bergen großer Schwert- und Thunfische achtern half eine Rolle über dem Spiegel. Mit diesen Extras war das Boot mit 7 1/2 Tausend Dollar etwa so teuer wie das gediegene Haus.

Hemingway, der als Kind mit seinem Vater seinen ersten Fisch aus einem Bach gezogen hatte, bedeutete die Natur viel. Zeitlebens von Depressionen geplagt, nahm er dieses Glück aus seiner ansonsten belasteten Kindheit mit. So steuerte er 1935 mit den eleganten schwarzen Planken das Thema seines Lebens an, legte zu einem großen Angeltörn zu den Bimini Inseln ab. Die Erlebnisse dieser Reise wurden zur Saat der weltweit gelesenen und preisgekrönten Erzählungen Hemingways.

Seit 1938 beschäftigte Hemingway Gregorio Fuentes, einen von den kanarischen Inseln übergesiedelten Kubaner zum Kochen, Kaltgetränke reichen, Zuhören und Hilfe beim Angeln. Fuentes wurde wie das Boot zur Konstanten in Hemingways Leben.

Catch of the Day: Hemingway mit vier Marlins und drei Söhnen auf Bimini
Catch of the Day: Hemingway mit vier Marlins und drei Söhnen auf Bimini © JFK Presidential Library

Die von einer kräftigen Strömung durchspülte Floridastraße zwischen Key West, Kuba und den Bahamas ist unruhig, fischreich und das ideale Revier zum Hochseeangeln. In Angeljournalen und Fachbüchern wie "Atlantic Game Fishing" setzte sich Hemingway für den sportlich fairen Kampf zwischen Mensch und Fisch ein.

Meist wurde der Fang beim Bergen von Haien angegriffen, sodass der Fisch abgefressen an Bord gelangte. "Deshalb", so Hemingway im Artikel "The great Blue River", "muss der Angler schnell sein, darf der Beute keine Pause gönnen. Er muss dranbleiben, ziehen, bevor der Fisch für den nächsten Fluchtversuch zu Kräften kommt." Angeln war ein Wettlauf gegen die Haie. Im Mai 1935 hob er mit dieser Technik vor Bimini einen großen Thunfisch unversehrt aus dem Meer. Im Jahr darauf zerrte ein Angelfreund einen kompletten 288 Kilo schweren Marlin im sogenannten "Hemingway Stil" an Bord.

Hemingway passte «Pilar» mit seitlichen Auslegern und einem 1937 über der Brücke montierten Außensteuerstand an seine Bedürfnisse an. Das Gestell aus verzinkten 2 Zoll Rohren ist wahrscheinlich eine der ersten Flybridge-Installationen überhaupt. Das Steuerrad dazu stammte von einem Ford T-Modell.

Der Fang musste an Bord, bevor Haie ihn gefressen hatten
Der Fang musste an Bord, bevor Haie ihn gefressen hatten © JFK Presidential Library

Mit der aus heutiger Sicht schwach motorisieren «Pilar» war es fast unmöglich, einen großen Fisch mit ständigem Zug an der Leine müde zu fahren. Hemingway improvisierte mit Pokholz zum Bremsen der Angelrolle. Er legte mit Wissenschaftlern ab, professionalisierte sein Hobby mit Aufzeichnungen über eigene Erkenntnisse zu Ruten, Schnüren, Ködern, Strömungen und Notizen zum Meer. Hemingway las alles zum Thema. So entstand im Laufe der Jahre eine Bibliothek mit 150 meereswissenschaftlichen Titeln.

Hemingways unübersehbar an Bord verlegter Lebensschwerpunkt passte nicht zum Familienleben und der Ehe mit der eleganten Vanity Fair und Vogue Journalistin. So legte Hemingway 1939 mit seinem wahren Zuhause zum 90 Meilen entfernten Kuba ab, wo seine dritte Frau bald ein Gut auf einem angenehm luftigen Hügel im Südosten Havannas fand, die Finca Vigía. Das einzige Manko: der Weg zum Boot im Fischerdorf Cojímar war mit 20 Autominuten deutlich weiter als auf Key West.

Von Abstechern ins Nachtleben Havannas und Reisen abgesehen schrieb Hemingway hier bis zum frühen Nachmittag. Regelmäßig ging es nach Cojímar, wo Hemingway und sein treuer Matrose Fuentes ablegten. Aber Angeln und Schreiben hielten ihn nicht mehr in der Balance. Ende der Fünfzigerjahre ging es Hemingways richtig schlecht. Alkohol und seine Depressionen machten ihm zu schaffen. Schweren Herzens übersiedelte Hemingway aus medizinischen Gründen mit seiner mittlerweile vierten Frau in die Staaten. Im Sommer 61, ein Jahr nachdem Hemingway, der so gerne mit seinen kubanischen Freunden angelte, redete und trank, das Land und sein Boot verlassen hatte, nahm er sich das Leben.

Hemingway auf der Flybridge seiner «Pilar»
Hemingway auf der Flybridge seiner «Pilar» © JFK Presidential Library

Eine Weile noch lag «Pilar» in Cojímar. Hemingway hatte sie Fuentes vermacht. Dann wurde sie zur Finca Vigía im Südosten Havannas gebracht und als Sehenswürdigkeit auf dem Tennisplatz abgestellt. Dort steht das eigentliche Zuhause des Wahlkubaners aus dem mittleren Westen Amerikas, der seine Leser bis heute mit sparsam gemeißelten Sätzen fesselt. Die Einheimischen erinnern "Señor Hemingüey" mit liebevollem Respekt, nennen ihn radebrechend mal "Mister Way", mal "Guey", vertraulich "Don Ernesto" oder einfach "Papa". Als wäre er noch da. Wie sein schwarzes, muffiges Boot.

Die Wheeler Werft

Die Wheeler Shipbuilding Corporation gehört zu den bedeutendsten amerikanischen Bootswerften. 1910 in Brooklyn bei New York gegründet, baute der Betrieb für den Ersten Weltkrieg U-Boot Jäger und legte in den Dreißigerjahren für Freizeitkapitäne die sogenannte "Playmate Series" auf, zu deren Beliebtheit Hemingway beitrug. Die Wheeler Werft baute damals 75 Boote jährlich, 1939 waren es bereits 225. Während des Zweiten Weltkriegs beschäftigte die Werft außer Wheeler senior und seinen fünf Söhnen sechstausend Mitarbeiter, maßgeblich mit Minenräumern. Angesichts des Erfolgs damals neuartiger Gfk-Boote, der Marke Chris-Craft und eines Brandes wurde der Betrieb 1966 geschlossen.

Bootsdaten

Typ: Wheeler Playmate 38
Werft/Baujahr: Wheeler Shipbuilding Corp. Brooklyn, New York/1934
Werft Baunummer: 576
Baumaterial: Zedernholz auf Eichenspanten
Übergabe in Miami durch Merrill Stevens Werft: Mai 1934
Länge: 12 m
Breite: 3,70 m
Tiefgang: 1,10 m
zwei Maschinen: Chrysler Crown Marine 75 PS Sechszylinder, Lycoming 40 PS Vierzylinder für spritsparende 5 Knoten Angelfahrt
zwei Propellerwellen: 1 x mittig, 1 x neben dem Kiel für die kleine Maschine
max Fahrt mit beiden Maschinen: 16 Kn
auf 75 US Gallons, 284 l vergrößerte Sprittanks
Kühlbox, Köderbox, drehbarer Angelstuhl
später nachgerüstete Flybridge

Dank

An Juan Jorge Serra Otero in Havanna.
Dieser Beitrag basiert unter anderem auf Paul Hendricksons lesenswertem 534 Seiten Buch: Hemingsway's Boat. Everything he loved in life, and lost 1934 - 1961. Verlag The Bodley Head, London 2012, ISBN 978 184 792 1932

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