Klassiker8 min Lesezeit
Klassiker Neubau Recluta
Der neue Klassiker von Germán Frers
Yachtkonstrukteur Germán Frers segelt neuerdings eine klassische 21 m Ketsch nach alten Plänen. Herrlich von gestern, mit Zugeständnissen an heute. Tochter Zelmira Frers hat den Bau der Yacht in einem sehenswerten Buch dokumentiert.
Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 14.04.2024, aktualisiert am 30.09.2024
Das erwartet Sie in diesem Artikel
- das Ende der Camper & Nicholsons Yawl «Recluta» von 1901
- Entwurf der Nachfolgerin 1943/44
- Überarbeitung der Pläne 2016-19 und Bau der Yacht 2017-21
- sehenswerte Finessen wie Kajütaufbau und Heck
- was es mit den argentinischen Regattayachten namens «Recluta» auf sich hat
- seegehende Yacht ohne Bug- und Heckkorb
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Deftige sechs Windstärken drücken das Schiff bis zur Deckskante ins schäumende Mittelmeer. Der grauhaarige Steuermann in kurzer Hose ist Germán Frers. Er weiß, dass die Holz Takelage hält. Es gibt wenige Boote, mit denen man es derart krachen lassen kann.
Wer genau hinsieht, entdeckt außer dem riesigen Steuerrad aktuelle Displays, Grinder und moderne Winschtrommeln im Format von Autofelgen. Ein Klassiker Neubau mit Zugeständnissen an unsere Zeit.
Die Geschichte dieses Bootes beginnt, als der Argentinier Carlos Badaracco während einer Langstreckenregatta von Buenos Aires nach Mar del Plata nachts in einem Sturm am Kap San Antonio strandete. Die Wogen schoben seine Yawl unrettbar auf den Sand. Segelfreund Germán Frers (1899–1986), der Vater des heute weltweit bekannten Germán Frers, hatte als Yachtkonstrukteur einiges an diesem Camper & Nicholsons Werftbau gemacht. Das Boot war 1901 als gaffelgetakelte «Avel III» für den C&N Stammkunden R. Calame entstanden. Frers hatte es unter anderem mit einem Bermuda-Rigg modernisiert.
Also zeichnete Frers ihm ein neues Boot. 1944 waren die Pläne fertig. Im Unterschied zur Vorgängerin plante er ein breiteres Schiff mit einem durchdachten Mix aus Formstabilität und Bleiballast im Kiel mit moderatem Tiefgang für das Flachwasserrevier des 150 Meilen langen und bis zu 119 Meilen breiten Río de la Plata. Ein zusätzliches Schwert war für Am Wind Kurse gedacht. Mit knapp 21 Metern, 67 Fuß Länge sollte es damals die größte in Argentinien gebaute Yacht werden.
Der Bau von «Recluta» stand seit 1944 im Raum
Frers hatte sogar Aquarelle davon, den Vorläufer heutiger Renderings, in seinem Büro hängen. Die Knappheit kriegswichtiger Metalle wie Blei und Kupfer vereitelte die Fertigstellung des Schiffs. Die Pläne verschwanden in der Schublade. In den Siebzigerjahren setzte der Neffe des Eigners, Carlos Corna Badaracco, die Segeltradition der Familie mit modernen Frers Entwürfen für den Admiral’s Cup, beim Bermuda Rennen und dem Sardinia Cup, mit fünf verschiedenen «Reclutas» fort. So erhielt der Bootsname, auf Deutsch heißt er Rekrut, auf den Regattabahnen der nördlichen Hemisphäre seinen speziellen Klang.
Frers Junior, der 1941 geborene Sohn gleichen Namens lernte das Metier im väterlichen Konstruktionsbüro und Bootsbaubetrieb kennen, bis er ab 1965 eine Weile als Zeichner beim führenden Yachtkonstrukteur Sparkman & Stephens in New York arbeitete. Nachdem er sich 1971 mit «Matrero» in England bekannt gemacht hatte, nahm Frers dem Matador S&S beim Admiral’s Cup und auf den Maxi-Regattabahnen das Zepter ab. Für die Big Boats schuf der gefragte, vielreisende und beharrlich arbeitende Frers damals ein Monopol.
Bootsbau als ursprüngliches Bedürfnis des Menschen
Ab den Achtzigerjahren entwarf er für Herbert von Karajan, Giovanni Agnelli oder Raul Gardini. Anlässlich der „Il Moro di Venezia“ America’s Cup Herausforderung mit einem Frers-Abonnement für das nächst schnellere Boot ließ sich der Argentinier in der Mailänder Innenstadt mit einem Büro nieder. Auch private Yacht-Updates für Kunden wie Prada Boss Patrizio Bertelli beschäftigten ihn. Frers zeichnet seit Jahrzehnten für Nautor’s Swan, Hallberg-Rassy oder Sirena Marine.
Kastenförmige Deckshäuser
Ich lernte Frers jenseits des Rolex Bling-Bling als eher zurückhaltenden Ästheten 1994 in seinem ziemlich aufgeräumten Büro in Mailand kennen. Dort gab er mit Skizzen Einblick in die Gestaltung seiner Yachten. Frers zeigte, wie anspruchsvoll es ist, ein aus verschiedenen Blickwinkeln stimmiges Heck zu entwerfen, dessen Linien nirgendwo wegsacken. Und er skizzierte, warum er für die Aufbauten seiner Boote das kantig flache Deckshaus als schlichtestmögliche Form empfahl. Sie wurde bei mancher Wally der Neunzigerjahre verwirklicht, sehenswert auch bei seiner eigenen 22,50 m Slup «Heroina». Solch einen Aufbau gab Frers «Recluta» neulich auch, natürlich mit traditionell kleinen Bullaugen statt modernen Fensterbändern. Sein Vater hatte für «Recluta» in den Vierzigerjahren hutzenartig geschwungene, vergleichsweise moderne Aufbauten für die Niedergänge vorgesehen. Die charakteristisch geschwungenen Mahagoniseiten über dem «Recluta» Niedergang erinnern daran.
Das Schiff wurde 2017-21 in einem Vorort von Buenos Aires unter anderem vom 84-jährigen Freund Alberto Tito Szyjk gebaut, den Frers seit Jahrzehnten kennt. Ein klassischer Spant für Spant auf dem Kielbalken errichteter 20 m Langkieler. Es ist ein mühsames, aus heutiger Sicht anachronistisches Unterfangen, Holzbalken und -brettern eine geschwungene Form zu geben, eine Yacht noch einmal so zu bauen, wie seit Menschengedenken Boote entstehen.
Mit einem Rumpf, der berechenbar und bordlebensfreundlich weich statt mit harten Schlägen durch die Wogen geht. So viel zum Thema Blauwasser, einem heute reichlich strapazierten, fast schon sinnentleerten Marketingwort.
Natürlich ist der Langkieler im heutigen Yachtbau keine ernsthafte Alternative zum modernen U-spantigen Rumpf mit Flossenkiel und frei stehendem Ruder. Das Gewicht, die wasserbenetzte Fläche und die katastrophale Rückwärtsfahrt mit seitlich neben das Ruderblatt geführter Propellerwelle sprechen dagegen. Dafür sprechen die Seegängigkeit, Platz in der Bilge, die Bauweise, der Charme und die Geschichte von «Recluta». Niemand, außer Frers, baut heute noch einmal so.
Vier Jahre begleitete Tochter Zelmira ihren Vater in Buenos Aires zur Baustelle. Sie ist Architektin, Designerin und auch eine talentierte Fotografin. Das Ergebnis der gemeinsamen Ausflüge ist ein bemerkenswertes Buch. Es heißt „The Story behind Recluta“ und zeigt mit sehenswert dokumentarischer Fotografie das rohe und zu Spanten verarbeitete Holz, auch die Späne und den Staub mühsamer Handarbeit. All das begleitet von knappen, das vielschichtige Thema wie Möwen umschwirrenden Zitaten, Interviews, Erinnerungen zur jahrzehntelang gelebten Bootsbau- und Segelleidenschaft. Erzählt mit spezieller, vielleicht argentinischer Melancholie. Denn schöne Bootsbaustellen sind, wie das Leben auch, endlich.
Das Buch behandelt mit Frersscher Zurückhaltung die Frage, welche Form schön und gelungen ist. Die Antwort ist - wie von einem Schöpfer schöner Yachten zu erwarten - eher den Fotos des Buches als den Worten zu entnehmen. Ich habe das Werk mehrmals im Laufe der vergangenen zwei Jahre durchgeblättert, es immer wieder neu und anders gelesen, mich mit großem Genuss in die Leerstellen zwischen Text und Bild vertieft. Die Beschäftigung mit dem Buch ist wie ein kleiner Urlaub und erinnert auf wunderbare Weise an die beinahe vergessene Qualität des Analogen. Es ermuntert, sich auf ein lohnendes Thema zu konzentrieren.
Geschichten vom Bootsbau und Seereisen
Frers hat den Entwurf seines Vaters mit Änderungen verwirklicht. Der Kajütaufbau wurde als niedriger Kasten mit Bullaugen gestalterisch reduziert und von den Vierzigerjahren ein wenig zurückdatiert. Die Takelage wurde modernisiert. Frers streckte sie zugunsten einer leistungsfähigen wie ansehnlichen Segelgeometrie leicht. Für den Steuergenuss bekam das Schiff ein modernes, großes Rad. Von heute sind auch die Instrumente, die LED-bestückten Positionslampen und Grinder-betriebenen Winschen. Wie auf dem folgenden Film der 51-tägigen Überführung zu sehen, sind die Decksplanken parallel zur Mittschiffslinie wie bei einem Motorboot verlegt und nicht, wie bei Segelyachten üblich, entlang der Deckskante.
Frers gab «Recluta» zugunsten des Komforts und der Staumöglichkeiten eine etwas breitere Heckpartie. Klassische Yachten sind achtern deutlich schmaler und enger. Mit dem Übergang des Achterschiffs zum traditionell geneigten Heck und der Finesse, in welcher der gewölbte Spiegel dort eingelassen ist, hat Frers es sich und den Bootsbauern nicht leicht gemacht.
Ich wollte immer mal ein Boot bauen, das nicht von meinem Reißbrett stammt
Germán Frers
Das Buch langweilt nicht mit steriler Perfektion und dem austauschbaren Luxus von Bootsinterieurs in der Art gehobener Hotelzimmer. Schon deshalb nicht, weil das Buch keine einzige Innenansicht zeigt. Das gibt es ansonsten heute, wo Yachten von innen nach außen gedacht sind, nicht. Bei Bootspräsentation auf Messen, in sogenannten Tests oder auf YouTube geht es heute fast ausschließlich um Wohnwagenkriterien, nämlich wie viel Platz und Komfort das Boot unter Deck bietet. Wie es aussieht und segelt kaum.
Schon deshalb ist das Buch eine Wohltat, ein fabelhaftes, von klugen Texten begleitetes Bilderbuch, gesetzt in der schönen Manuskript-Typo Courier New, mit der bereits Zelmiras Großvater, seine Erinnerungen „Viajes, Disenos, Regatas“ (Reisen, Entwürfe, Regatten) auf Spanisch tippte. Er begann 1928 mit dem Yachtentwurf und segelte 1936 in Kiel anlässlich der Olympiade für Argentinien.
Erfreulicherweise ist es mehr als ein Bootsbuch. Zelmira Frers erzählt vom tief sitzenden Wunsch, in der guten Gesellschaft von Familie und Freunden irgendwo draußen auf der Reibfläche zwischen Wind und Wasser mit Delfinen und Walen unterwegs zu sein. Eine Idee davon bietet der folgende Film über die 51-tägige Seereise der Überführung von Buenos Aires zum Mittelmeer.
„Ich wollte immer mal ein Boot bauen, das nicht von meinem Reißbrett stammt“ berichtet Frers. Nun, so ganz stimmt das nicht, zumal Frers die historischen Pläne zunächst digitalisierte und dann wie beschrieben änderte. Der breitere Spiegel verlangte beispielsweise eine überarbeitete Heckpartie.
„Mein Vater sagte immer, dass «Recluta» eines Tages gebaut werden muss.“ Rund sieben Jahrzehnte erfüllte sich Frers, seiner Familie, Freunden und den Liebhabern traditioneller Fahrtenyachten diese Maßgabe. Er ist jetzt mit Anfang 80 in einem Alter, wo andere Skipper längst mit einem Motorboot oder Wohnmobil die Segel gestrichen haben. Anscheinend halten interessante Boote jung. So hofft Frers „mit dem Schiff noch ein paar Jahre Regatten und Touren segeln zu können“. Wie viel die 33 t Ketsch verträgt, wissen Frers und seine Begleiter seit der gemeinsamen Überführung und mancher kernigen Kreuz im Mittelmeer.
Bootsdaten
- Länge über Alles (mit Besanbaum) 20,90 m
- Länge über Deck 20,40 m
- Länge Wasserlinie 14,70 m
- Breite 4,60 m
- Tiefgang (Kielschwerter) 2,40/4,50 m
- Verdrängung leer/beladen 33/36,4 t
- 9/10 Takelung
- Großsegel 75 qm
- Genua 119 qm
- Fock 73,50 qm
- Besan 31 qm
- asymmetrischer Spinnaker 110 qm
- Am Wind Besegelung 179,5 qm
- Segeltragezahl 3,8
- Steyr SE-144E 38: 144 PS
- 700 l Diesel
- 800 Wasser
- 7 Kojen, Stehhöhe 1,80 – 2 m
Lesenswert
- Barry Picktall: Germán Frers. A Passion for Design. South Atlantic Publishing 2006 31 × 24 × 3 cm, 198 Seiten. ISBN: 13 978 095 310 440 6. Mit Glück antiquarisch zu bekommen.
- German Frers: Viajes, Disenos, Regatas (Reisen, Entwürfe, Regatten): 260 Seiten, Spanisch, zweite Auflage als Paperback 2007, antiquarisch 38 $, neu 72 $
- Zelmira Frers: The story behind Recluta, 258 Seiten, 30 × 25 x 3 cm, Buenos Aires: 2021, ISBN: 978-987-88-0404-0. 75 € + 26 € Versand. thestorybehindrecluta.com