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Haste Luft?

Schlauchboote zählen zu den größten Erfindungen des Wassersports.

Haste Luft?
Von Anfang an bei Kindern beliebt © Zodiac

Für viele ist es das Synonym für nassen Spaß im und auf dem Wasser – das Schlauchboot hat als eine der letzten, wirklich bahnbrechenden, massentauglichen «Erfindungen» im Wassersport einen zuvor kaum für möglich gehaltenen, weltweiten Siegeszug geschafft.

Von Michael Kunst, veröffentlicht am 09.05.2017, aktualisiert am 01.03.2023

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Wer das erste Schlauchboot erdachte und nutzte.
  • Was der Untergang der Titanic mit der Entwicklung des Schlauchbootes zu tun hat.
  • Wie Bombard und das Schlauchboot für einen unerwarteten PR-Schub sorgten.
  • Warum „Gummiboot“ heute ein Schimpfwort ist für die ausgereiften, teils semi-rigiden Schlauchboote mit faszinierendem Leistungspotential.

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Längst wird das Prinzip «Schlauch als Rumpf oder Außenseite» in nahezu allen maritimen Lebenslagen eingesetzt: als Badeinsel, Angelkahn, High-Speed-Renner, Exekutiven-Transporter (vulgo: Waschpo-Schlaucher), Protestboot, Lebensretter, Tauchstation, Zuggerät für Skifahrer und Wakeboarder, Weltum- und Baggerseesegler. Echte Schlauchbootfans behaupten sogar, dass es im Wassersport kaum einen Einsatzbereich gebe, der nicht auch mit dem Objekt ihrer Begierde bewältigt werden könnte.

Um es gleich vorwegzunehmen: Nein, das Schlauchboot wurde nicht von Mister Goodyear erfunden und auch nicht von einem gewissen Herrn Zodiac (der war ein Massenmörder und hatte nichts mit Bootfahren am Hut). Vielmehr ist das Prinzip des Schlauchbootes wahrscheinlich schon so alt wie die halbwegs zivilisierte Menschheit. Einige Archäologen gehen nämlich davon aus, dass vernähte und mit Luft gefüllte Tierhäute bereits zur Steinzeit als Transportfloß eingesetzt wurden.

Relikt aus der Steinzeit?

Tatsächlich hat der Stamm der Sallirmiut, eine winzige Volksgruppe, die an der Südküste der Southampton-Insel und auf Walrus Island im Norden Kanadas isoliert von anderen Stämmen unter steinzeitähnlichen Bedingungen lebte, mit «höchst seltsamen, unförmigen Booten» von sich reden gemacht. Die Sallirmiut sind die wahrscheinlich letzten Überlebenden der Dorset-Kultur im Norden Kanadas gewesen, die u. a. für ihre außergewöhnliche Kraft und ihren großen Körperbau bekannt waren.

Sie erfanden höchstwahrscheinlich das Iglu und… das Schlauchboot! Als sie von europäischen Seefahrern Anfang des 17. Jahrhunderts «entdeckt» wurden, fuhren sie den großen Holzschiffen auf kleinen Paddelbooten entgegen, deren Rümpfe aus vernähter und anschließend aufgeblasener Walrosshaut bestanden. Diese offenbar sehr robusten und tragfähigen Boote nutzten die Sallirmiut hauptsächlich zur Wal-Jagd. Zweihundert Jahre nach dem ersten Kontakt mit den «Weißen aus dem Osten» schlug dann der Sallirmiut letztes Stündlein, als eine Walfänger-Besatzung sie mit einem tückischen Magen-Virus infizierte, der die letzten 200 Menschen dieses faszinierenden Volkes dahin raffte.

Soweit zum Thema «wer hat’s erfunden?». Doch wie so oft, sind die ursprünglichen Erfindungen verbesserungswürdig, auch oder vor allem, was die Evolution der verwendeten Materialien anbelangt. Und hier setzt die moderne Historie des Schlauchbootes an und ein.

Ein Jäger der Sallirmiut beim Walfang, Zeichnung um 1830
Ein Jäger der Sallirmiut beim Walfang, Zeichnung um 1830 © Wikipedia

Schlauchboot im Mantel

Denn es war vorwiegend die «Vulkanisierung» zur Stabilisierung des (damaligen) Wunderproduktes Gummi, die einem gewissen Charles Goodyear 1838 erstmals gelang und die Entwicklung des Schlauchbootes grundlegend weiter brachte.

In erster Linie interessierte in den folgenden Jahrzehnten das Prinzip des aufblasbaren Bootes aus Gummi die Tüftler und Vordenker aus Platz- und Gewichtsgründen. Zu Zeiten, als noch Entdeckungsexpeditionen etwa in Kanadas nördliche Wildnis auf dem Kayak gemacht wurden, war es gut zu wissen, dass man im relativ kleinen Format ein «Rettungssystem am Mann» dabei haben konnte. Was übrigens wörtlich zu nehmen ist: Ein gewisser Peter Halkett entwickelte 1844 ein Ein-Mann-Schlauchboot, das aus einer Gummiblase und einer Schutzhülle aus Stoff bestand, das sage und schreibe vom Forscher und Abenteurer (nicht aufgeblasen) als Mantel-ähnlicher Umhang getragen werden konnte.

Ungewohnt «unförmig» für ein Wassergefährt – immerhin segelten damals schon formschöne Yachten, die von begnadeten Designbüros wie Camper und Nicholsen entworfen wurden – war dann auch die erste dokumentierte Hochseestrecke, die auf Schläuchen geschafft wurde: Vier Männer segelten auf einem Floß aus Gummischläuchen von New York zu den Britischen Inseln. Ein epischer und oftmals gefährlicher Törn, der von der wassersportlichen Nachwelt viel zu wenig gewürdigt wurde.

Peter Halkett (1820–85) - National Maritime Museum, London
Peter Halkett (1820–85) - National Maritime Museum, London © Wikipedia

Untergang der Titanic als Wendepunkt

Mitte des vorletzten Jahrhunderts begann dann die Serienproduktion von Schlauchbooten, die zumindest in ihrer Form schon deutlich an Boote erinnerten. Doch so richtig «trauen» wollte man den Gummiwülsten auf dem Wasser nicht, jedenfalls konnten noch keine nennenswerten Stückzahlen verkauft werden.

Ab dem 14. April 1912 war dann Schluss mit lustig: Nach dem tragischen Untergang der «Titanic» machte man sich verstärkt Gedanken über verbesserte Rettungssysteme auf hoher See. Zu viele Menschen mussten damals sterben, weil – angeblich aus Platzgründen – nicht genügend Rettungsmittel an Bord waren.

Zu diesen Zeiten brachte ein Berliner das Schlauchboot endgültig «ins Spiel»: Hermann Meyer ließ sich ein «beidseitig benutzbares, aufblasbares Wasserfahrzeug» mit Rückschlagventil patentieren, das später noch durch einen hölzernen Einlegeboden, Schottkammer-Trennwände in den Schläuchen, Druckausgleichsventile und einen V-förmigen «Luftkiel» ergänzt wurde.

In den beiden Weltkriegen erlangte das Prinzip des Schlauchbootes (teils bereits automatisch mit Pressluft aufblasbar) als Rettungsmittel in der Marine, aber auch in der Luftfahrt, elementare Bedeutung und rettete in vielen Formen und Varianten unzähligen Soldaten das Leben.

Doch zurück zum Wassersport. Ein Franzose machte schließlich das Schlauchboot zu dem Gefährt(en) auf den Wassern, wie wir es grosso modo heute kennen. Alain Bombard verband drei Konstruktionsmerkmale miteinander, die den Wirkungsbereich der «Gummiwürste» (Verballhornung aus dem Militärjargon) enorm vergrößerten: klassische Bug-Heck-Bootsform, fester Boden und Außenbordmotor.

Mit seinem motorisierten «Festrumpfschlauchboot» überquerte er solo den Atlantik und segelte dabei mangels ausreichend Platz für Spritreserven den Großteil der Strecke. Außerdem hatte er, ebenfalls aus Platzgründen, nicht ausreichend Nahrung und Wasser an Bord genommen; Bombard wäre wohl niemals von seinem Törn wiedergekehrt, hätten ihn nicht unterwegs mehrere Handelsschiffe mit Nahrungsmitteln versorgt. Und wer weiß, wie dann die Geschichte des Schlauchbootes weitergegangen wäre?

Unerwarteter PR-Schub

Nach seinem glücklich beendeten Selbstversuch fand Bombard in den Werkstätten des französischen Flugzeugherstellers «Zodiac» die Gelegenheit, eine Serienproduktion seiner Boote aufzunehmen. Doch erneut schien die Zeit nicht reif für eine Vermarktung – irgendwie fehlte der marketingstrategische Motor, genauer gesagt: moteur.

Auch wenn man das damals noch nicht so sah, sollte eine alte Freundschaft zu einem ganz Großen der damaligen Zeit dem Schlauchboot allgemein und der Marke «Zodiac» im Besonderen einen zuvor nicht für möglich gehaltenen PR-Schub geben.

Kein Geringerer als Jacques Cousteau war von den platzsparenden Booten für seine immens populären Expeditionsfahrten begeistert. Er nutzte die «Zodiacs» bei jeder sich bietenden Gelegenheit und redete in seinen Filmen, Interviews, Radioreportagen und Büchern immer nur von Zodiacs… und niemals von Schlauchbooten. So kam es, dass binnen weniger Jahre der Markenname zum Synonym für eine ganze Bootsgattung wurde. Ein PR-Effekt, den man bis heute in vielen europäischen Ländern noch beobachten kann.

Transportmittel für alle und alles
Transportmittel für alle und alles © Zodiac

Der Rest ist typische Wassersportgeschichte. «Zodiac» stieß bald an Kapazitätsgrenzen und war gezwungen, Lizenzen zum Bau der mittlerweile in zahlreichen Varianten vertriebenen Schlauchboote zu vergeben. Der britische Hersteller «Avon» baute bald darauf Festrumpfschlauchboote mit tiefem V-Kiel; ein weiterer Brite gab dem Boot schließlich eine flache Rumpfform im Heck, um die Stabilität des Bootes deutlich zu verbessern. Es folgten erste GFK- und schließlich Aluminium-Rümpfe, die mit Schläuchen bestückt wurden. Heute, nachdem die Lizenz längst ausgelaufen ist, gibt es auf der ganzen Welt unzählige Schlauchboothersteller.

Das ursprüngliche Material Gummi, mit dem zumindest der Siegeszug des Schlauchbootes in der Moderne begann, wurde längst von modernen Materialien verdrängt: PE, PVC, PU, Neopren und unterschiedliche Kunststofffolien machen aus der «Gummiwurst» ein Hightech-Boot, mit dem so ziemlich alles erledigt werden kann, was es auf dem Wasser zu tun gibt. Schaut man auf diese hochwertigen Renner von heute, ist jedenfalls schwer zu glauben, dass alles mit einer «ollen Walross-Haut» begonnen haben soll.

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