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Klassiker8 min Lesezeit

Serielle Bigamie

Wenn es mindestens zwei Boote sein müssen

Serielle Bigamie
Georg Milz an Bord seines 22er Schärenkreuzers "Finikiette" von 1935 © Wulf Hansen - Sailingpix

Ein ehemaliger norddeutscher Reetbauer steht seit 1974 auf Schärenkreuzer. Zunächst segelte er ein Exemplar nach dem anderen. Seit einer Weile bereedert er mindestens zwei Boote dieses Typs gleichzeitig, wobei eines davon ab und zu gewechselt wird.

Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 30.07.2021

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • die Geschichte eines norddeutschen Reetbauers und Seglers
  • wie die Bootsinstandsetzung, Pflege und der Holzbootsvirus leb- und bezahlbar bleiben
  • wie Lemkenhafen auf Fehmarn zum norddeutschen Schärenkreuzer-Hotspot wurde
  • Infos zur alle zwei Jahre ausgesegelten "Schlank & Rank" Regatta

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Es soll ja immer noch Leute geben, die Segeln mit schönen Booten für eine schicke und sündteure Schnöselsportart halten. Dass es auch anders, nämlich bescheiden und mit bodenständiger Beharrlichkeit geht, zeigt diese Geschichte. Sie beginnt 1974. Erinnern Sie sich? Damals wird die Bundesrepublik 25. Sie gewinnt die zuhause ausgetragene Fußball-WM. Volkswagen präsentiert zur Ölkrise den Golf. Die Koteletten sind lang. Die Hemdkragen werden zu Segeln. Die Hosen haben einen enormen Schlag.

"Gisela" bei der Ankunft in Lemkenhafen
"Gisela" bei der Ankunft in Lemkenhafen © Georg Milz

1974 holt Georg Milz gemeinsam mit einem Kumpel sein Traumschiff nach Lemkenhafen im Westen der Ostseeinsel Fehmarn. Wenn man vom Schilfschneiden lebt, bleibt nicht so viel fürs Hobby übrig. Milz löst das Problem auf seine Weise, indem er beharrlich jeden entbehrlichen 50 Mark Schein beiseitelegt. Und er teilt sich das Traumschiff mit einem Freund. Es ist schmal, lang, und Baujahr 1936. Es heißt „Gisela“ und kommt in der Trendfarbe Orange, die bald in Signalrot geändert wird. So wird die flachbordige Feile an grauen Tagen in der Ostsee besser gesehen. Seit "Gisela" hat Milz immer einen Pinsel im Terpentinglas stehen.

Schon besser: "Gisela" als "Madame 4" frisch gemalt für die nächste Saison
Schon besser: "Gisela" als "Madame 4" frisch gemalt für die nächste Saison © Georg Milz

Wer das Bootsvirus hat, lebt es am besten konsequent

Damals kriegt er dieses spezielle Virus, das er in fehmaranischem Platt so erklärt: „Ik meen hier nich so'n Grippevirus, oder 'nen Schnöv oder so wat. Nee, ik meen den Renovierungsvirus - un bi mi hett he noch 'n besondern Namn so to seggen is dat noch so'n speziellen Unnerstamm, he het Sk-virus.“ Falls Sie nichts verstanden haben: Milz meint, er hätte das Bootsrenovierungsvirus in der gefährlichen Schärenkreuzervariante.

Boot Nr. 2: Milzens früherer 30er Tourenschärenkreuzer Typ Lotus
Boot Nr. 2: Milzens früherer 30er Tourenschärenkreuzer Typ Lotus © Michael Amme für Segler Verein Lemkenhafen

Da so ein Virus bleibt und nicht kurierbar ist, gibt man ihm lieber gleich konsequent nach. Milz lebt das seit bald fünf Jahrzehnten so. Wobei die Sache nicht besser, sondern schlimmer geworden ist. Sie steigerte sich vom Besitz eines halben Bootes wie "Gisela" über ein Ganzes zum laufenden Doppelbetrieb von Schärenkreuzern, wobei einer regelmäßig ausgetauscht wird, zur - "seriellen Bigamie".

Nach weiteren tapfer beiseite gelegten Scheinen ist ein deutlich längeres Geschoss Typ Lotus drin. Auch so eine waffenscheinpflichtige Feile aus Schweden - mit voller Bück-Höhe, Petroleumherd, vier Kojen plus Achterkajüte. Damit brettern Georg und sein Bruder sonntags um die Insel. „Hans arbeitet beim Bundesgrenzschutz. Damit war er automatisch für Fronteinsätze wie nasse Segelwechsel auf dem schmalen Bug zuständig“ erinnert Milz grinsend.

Er nennt das Boot "oh Charly" nach dem Schlager "Eine Mark für Charlie, denn Charlie kann nicht zahlen". Dabei lebt Milz ganz solide. Er steckt das Geld ins Wasser, statt es in der Kneipe oder für Glücksspiel zu versenken. Außerdem lässt sich ein Boot zu gegebener Zeit für ein paar Scheine weiterreichen. Das macht nicht jede Frau mit, ist aber eine vergleichsweise reelle Sache.

Boot Nr. 4: Ein zufällig von Milz entdeckter 15er Schärenkreuzer, liebevoll auf Fehmarn abgelegt
Boot Nr. 4: Ein zufällig von Milz entdeckter 15er Schärenkreuzer, liebevoll auf Fehmarn abgelegt © Georg Milz

Milz lebt viersprachig. Für den Alltag auf der Insel reicht das heimische Platt, Hochdeutsch für Lebensgefährtin Suse Bruns und Besucher, die vom Festland über die Brücke kommen. Dänisch ist praktisch zum Brötchen kaufen auf der anderen Seite des Fehmarnbelts. Schwedisch ist beim Boote holen nützlich.

Suse Bruns und Georg Milz bei der Schlank & Rank Regatta vor Fehmarn
Suse Bruns und Georg Milz bei der Schlank & Rank Regatta vor Fehmarn © Wulf Hansen - Sailingpix

Als Fehmaraner verlässt Milz die heimische Scholle nur aus triftigem Grund: zum Segeln, Angeln oder Boote gucken in Schweden. Den 15er Schärenkreuzer "Oj Oj" holte er mit dem Reethänger. Zwar dauerte die Fahrt im besseren Treckertempo etwas länger, aber das Gebälk war die Geduld wert.

Bei den Schweden-Touren ist immer ein schneller 80 km/h Trailer hinten am VW-Bulli dran. Milz kehrt selten mit leerem Hänger zurück. Dabei ist es nicht einfach, die richtigen Exemplare aus Schweden zu bekommen. Wenn überhaupt, dann trennen die Einheimischen sich alters halber und zögernd von ihren Schätzen. Sie wollen sicher sein, dass ihr Boot in die richtigen Hände kommt. Passables Schwedisch, das Virus und der Ruf von Schären-Georg helfen.

Milz unterwegs zum Außenborder auf dem 40er "Aurora"
Milz unterwegs zum Außenborder auf dem 40er "Aurora" © Segler Verein Lemkenhafen

Dünnschiffe sind interessanter als Dickschiffe

Zahlreiche "Dünnschiffe" hat Milz seit „Gisela“ bis heute gesegelt, renoviert und weiter gereicht. Dem 12 m Plastikrenner folgte der filigraner 15er Schärenkreuzer "Oj Oj" aus Holz mit Peitschenmast. Den betagten 40er "Aurora" von Anno 1920 (13 x 1,94 x 1,50 m) segelte er von Schweden nach Fehmarn. Zur Zeit (Stand Sommer 21) bereedert er einen 22er von anno 1935 für die kleine Runde am Nachmittag vor der Tür wie auch für Regatten. Für Touren nach Dänemark oder Schweden gibt es neuerdings einen modernen 10 m Renner Typ "Smaragd" aus den Siebzigern. Sie hat kürzere Überhänge, ist im Vergleich zum klassischen Schärenkreuzer etwas hochbordiger, was dem Bordleben und der Rauhwassertauglichkeit zugutekommt. Dank ihres großen Ballastanteils verträgt sie ordentlich Wind, wie Milz schwärmt. Viele Klassiker-Fans und Holzbootsegler kriegen bei Plastik bekanntlich Pickel. Milz ist da gelassen. Er interessiert sich für Dünnschiffe in allen möglichen Varianten und Macharten. Er sammelt und segelt sie einfach gern. Und er guckt ständig, was noch so in Frage kommt.

Nach dem bunten Einstieg in den Trendfarben der Siebzigerjahre ist er bei schlichtem Weiß zum Natur-lackierten Finish an Deck angekommen. So eine Antiquität mit glänzend im Klarlack stehendem Holzaufbau, Deck und ringsum makellosem Rumpf muss jährlich angeschliffen und neu versiegelt werden. Dabei gibt es zwischen den kalten und feuchten Tagen im Winterlager und den ersten heißen Wochen, wo das betagte Gebälk austrocknet, ein begrenztes Zeitfenster. Der serielle Schärenkreuzer-Betrieb ist ein spezieller Lebensstil, nicht zu verwechseln mit dem normal schnöseligen dicke-Hose-Boots-Lifestyle, wie in vielen Häfen an der Küste üblich.

Der vorübergehend von Milz gesegelte 40er "Aurora" in seiner früheren Reethalle
Der vorübergehend von Milz gesegelte 40er "Aurora" in seiner früheren Reethalle © Georg Milz

Wenn Du zwei Boote hast, brauchst ab und zu was Neues

Natürlich hat sein Bruder Hans mittlerweile eine eigene, bestens im Lack stehende 15er Schäre. Übrigens werden die Boote nicht nur gesucht, geholt, repariert und gepflegt. Sie werden routiniert und mit großem Genuss gesegelt. Es ist wunderbar, wie die filigranen Tropenholztorpedos aufgetakelt, durch die Pfähle geschoben und aus dem Hafen gesegelt werden.

Auch die messerscharfe Kreuz durch das schmale Fahrwasser von Lemkenhafen auf die Ostsee, das dem normaldickschiffigen Kajütbootdiesler als unsegelbar gilt, lässt staunen.

Der Genuss an der Pinne eines klassischen Schärenkreuzers draußen dann auf der unbegrenzten Wasserfläche des Meeres ist unbeschreiblich. Für dieses Erlebnis gibt es keine Worte.

Zum artgerechten Bootsbetrieb gehört die Rückkehr unter Segeln. Erst wird das Großsegel, dann die Fock geborgen. Mit magischer Restfahrt schweben die eleganten Planken zwischen der gestreckten Bug- und Heckpartie durch das Hafenbecken. Mit kühner Könnerschaft kommen die spitzen Büge am Steg zum Stehen. An der Reißleine des stinkenden Außenbordmotors wird ungern gezogen.

Der Fehmaraner kehrt selten mit leerem Hänger aus Schweden zurück
Der Fehmaraner kehrt selten mit leerem Hänger aus Schweden zurück © Georg Milz

So wurde Lemkenhafen zur Einflugschneise der ursprünglich schwedischen Schärenkreuzer. Man nennt sowas in unnötig anglisiertem Schickdeutsch neuerdings "Hotspot". Neben den Klassikern aus Holz sind hier auch komfortablere, pflegeleichte Varianten wie der S30, mittlerweile drei 30er Tourenschären Typ Lotus, zwei Swede 41 und eine Swede 55 beheimatet. Der Fehmaraner Schärenfan hat das Virus an manchen Wassersportler des Segler-Vereins Lemkenhafen weitergegeben. Für die Besucher des Clubs ist ein Blick auf die "Schärenecke" fester Programmpunkt. Der Segler-Verein Lemkenhafen ist an der Küste für seinen seglerischen Schwerpunkt bekannt.

Beinahe aus einer anderen Welt. "Finiekette" beim Einwassern in Lemkenhafen
Beinahe aus einer anderen Welt. "Finiekette" beim Einwassern in Lemkenhafen © Georg Milz

Bleibt die Frage, wie Milz und seine Segelfreunde das mit den Holzbooten alles hinkriegen. Nun, die ehemalige Reethalle eignet sich gut zur Winterlagerung, Reparatur und Pflege der Boote. Die Wege im Dorf, zum Liegeplatz und zur Halle sind kurz. Drittens machen Milz und sein Bruder praktisch alles selbst. Außerdem ist Schärengeorg seit einer Weile schon mit dem Schilfschneiden und Reethandel durch. Er hat und nimmt sich Zeit für seine Schönheiten.

Außerdem ist Milz gelassen und klug genug, seine Partnerin viel an die Pinne zu lassen. Nicht nur draußen, wenn die Segel gesetzt sind und die beiden prächtig gefiedert über den Fehmarnsund schweben. Draußen die Pinne abgeben kann jeder. Nein, Suse Bruns segelt auch die Ab- und Anlegemanöver, kreuzt durch die Molenköpfe der engen Hafeneinfahrt. Wenn sie zu schnell in den Hafen schiebt, schmeißt Milz einfach einen großen Eimer zum Bremsen über Bord.

Fehlt nur noch ein klassischer 30 qm Schärenkreuzer in seinem Segler-Lebenslauf. So einen hatte Milz noch nicht - und die größeren Modelle jenseits der 40 Quadratmeter. Allerdings ist Milz als Gernevielsegler aus guten Grund auf die kleineren Typen abonniert. "Die sind handlich, kannst Du auch mal allein segeln und für eine schöne Runde nachmittags oder gegen Abend vom Liegeplatz schubsen."

Zeigt her Eure Büge: Kollektion klassischer Holzschärenkreuzer aus den Dreißigern
Zeigt her Eure Büge: Kollektion klassischer Holzschärenkreuzer aus den Dreißigern © Ulla Prötel

Abschließend muss erwähnt werden, dass Milz Artikel über sich und seine Bootslebensart die Bohne interessieren. Es reicht ihm völlig, das zu machen. Wer zwei Boote, mindestens einen Pinsel im Glas stehen hat und oft segelt, ist gut beschäftigt.

Schärenkreuzer-Treffen auf Fehmarn

In Lemkenhafen gibt es eine Regatta namens "Schlank & Rank". Die dachte sich Milz anlässlich des hundertjährigen Geburtstags der Schärenkreuzer 2007 in Schweden aus. "Lass uns mal zuhause mit unseren schönen Booten treffen, eine Runde segeln und danach ein Bier trinken" schlug er vor.

Das Dünnschiffer-Konvent findet seit 2009 alle zwei Jahre am ersten Juliwochenende, 2021 coronabedingt 6. - 8. August statt. Eingeladen sind alle sportlich schlanken Boote vom Zweimannkielboot Yngling aufwärts: Soling, Drachen, H-Boot, Molich X, Ylva, Faurby 36, Luffe 37 beispielsweise und natürlich klassische Schärenkreuzer vom 15er über 22er, 30er, 40er bis hin zum 55er. Ebenso die Tourenversionen S30, Swede 41 und Swede 55. Samstags finden ab 12 Uhr zwei Läufe statt: Gestartet wird auf der Orther Reede in der Nähe der Landzunge Krumm Steert. Kurs kreuz und quer durch den westlichen Fehmarnsund.

Das Schärennest Lemkenhafen bei der "Schlank & Rank" Regatta
Das Schärennest Lemkenhafen bei der "Schlank & Rank" Regatta © Ulla Prötel

Da kommen dann die schönen schlanken Renner aus der Kieler und Lübecker Bucht, vom Bodensee und Berliner Gewässern. Es wurden auch schon Bayern als Vorschoter auf dem Fehmarnsund gesichtet. Deren Leichtwind-Knowhow und Zupfer-Qualitäten sind bei hochsommerlichen Bedingungen, die es auf Fehmarn auch gibt, interessant.

Die Klassiker und die Flotte der modernen Boote werden nach verschiedenen Handicaps gewertet: anhand des Klassiker-Rennwerts (KLR) der Freundeskreis klassischen Yachten und nach Yardstick.

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VG