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Monster-Wellen: Gibt es sie wirklich?

Seemannsgarn oder doch Realität

Monster-Wellen: Gibt es sie wirklich?
Kaventsmann aufgenommen vom Forschungsschiff RV Cape Henlopen im westlichen Nordatlantik © H. Mitsu

Seemannsgarn gehört zur Geschichte der Seefahrt und oft spielen riesige Brecher die Hauptrolle. Aber nicht alle Storys sind erlogen.

Von Michael Kunst, veröffentlicht am 02.01.2018, aktualisiert am 28.03.2023

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Wann Monster wellen erstmals bewiesen wurden
  • Wo wurden Monsterwellen gesichtet und wissenschaftlich dokumentiert?
  • Wie hoch sind diese Wellen?
  • Wie werden Monsterwellen gefunden und gemessen?

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Es passiert in der Nacht des 18. Februar 2017. Der Australier Shane Freeman (58) segelt mit seiner Tradewind 35 etwa 600 Meilen nordwestlich von Kap Hoorn. Kernige 50 Knoten fegen über das Wasser. Immerhin schlägt sich die kleine «Mushka» beachtlich und Freeman will sich unter Deck schlafen legen. Aber plötzlich hört er ein unheimliches Geräusch, das den Sturm übertönt. Eine riesige, brechende Welle rollt aus der Dunkelheit heran. Der Skipper hört sie, bevor er aus dem Cockpit sieht, erkennt das Ungetüm, das er auf zehn Meter schätzt, dann wird das Schiff auf die Seite geworfen, ins Weißwasser gedrückt und im Sog des Brechers zurückgezogen. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis sich «Mushka» wieder aufrichtet.

Alles nur Seemannsgarn?

Solche Geschichten werden gemeinhin als Seemannsgarn (lesen Sie dazu: Die seltsamen Gebräuche auf hoher See) gewertet. Seit Urzeiten berichten Seeleute von sogenannten Kaventsmännern, die plötzlich aus dem Nichts auftauchen und Schiffe zerschmettern. Allein der Glaube an den Wahrheitsgehalt hält sich meist in Grenzen.

Nun stellt sich aber immer mehr heraus, dass Skeptiker vielen Geschichtenerzählern Unrecht getan haben. Mit fortschreitender Technik-Entwicklung gibt es immer mehr harte Fakten zu dem Thema plötzlich auftauchender Kaventsmänner. 1995 gelang es erstmalig, Monsterwellen per Satellit zu vermessen – und seitdem ist zweifelsfrei klar: Es gibt sie wirklich.

Mit stetiger Verbesserung der Satelliten-Optiken wurden inzwischen Monster-Wellen, Freak- oder Rogue-Waves auf nahezu allen Ozeanen unseres Planeten gesichtet. Und sie beinhalten eine solche Energie, dass selbst größere Schiffe schlicht verschluckt werden können. Einige bis heute «unerklärliche» Schiffskatastrophen, bei denen große Überseeschiffe spurlos verschwanden, werden inzwischen auf die unglückliche Begegnung mit Monster-Wellen zurückgeführt.

Simulation einer Freakwave, die noch etwas höher als 19 Meter sein dürfte
Simulation einer Freakwave, die noch etwas höher als 19 Meter sein dürfte © NOAA

Wie «Hugo Boss» getroffen wurde

Auch moderne Hochseesegler erleben immer wieder Begegnungen mit riesigen Wellen. So wurden Alex Thomson und Guillermo Altadill während der Transat Jacques Vabre 2015 auf dem Atlantik 82 Meilen westlich der spanischen Küste von einer Welle getroffen, die laut Thomson bei ohnehin harten Bedingungen doppelt so hoch wie der restliche Seegang war. Ihre 60-Fuß-Yacht «Hugo Boss» wurde auf die Seite geworfen und verlor das Rigg.

Ein anderer Fall betraf die Franzosen Sebastien Josse und Jean Francois Cuzon, die 2010 ebenfalls auf einem 60-Fußer etwa 210 Seemeilen nordwestlich der Azoren in einem Sturm segelten. Der Wind wehte schon einige Zeit mit 30 bis 50 Knoten, als sie von einem Brecher erwischt wurden, den sie als «außergewöhnlich hoch und schnell» beschrieben. Sie wurden angehoben, gedreht, und schließlich wurde das Kajütdach zerschmettert.

Das Schiff lief innerhalb kürzester Zeit voll, konnte aber noch den nächsten Hafen erreichen. Spätere Untersuchungen ergaben, dass die Wucht, mit der die Kajüte zerstört wurde, dreimal größer war, als die möglichen Kräfte, die man Wellen generell zugerechnet hatte.

Auch der legendäre Einhandsegler Robin Knox-Johnston erzählt, dass er schon 1968 bei seiner Einhand-Weltumseglung im Southern Ocean von einer 80 Fuß hohen Welle getroffen wurde. Er habe das «Monster» heranrasen sehen, keine Zeit mehr gehabt unter Deck zu kommen, und sei deshalb am Mast einige Meter nach oben geklettert. Das gesamte Boot wurde überspült, tauchte aber später wieder auf. Eine abenteuerliche Geschichte, die sich definitiv wie Seemannsgarn anhört, wenn sie nicht von dem zum Ritter geschlagenen Knox-Johnston höchstpersönlich erzählt worden wäre.

Die 21 Meter-Welle Andrea

Aber es wird immer klarer, dass solche Monster-Wellen sehr real sind. Mark Donelan von der University of Miami Rosenstiel School of Marine and Atmospheric Science und seine Kollegin Anne-Karin Magnusson vom Norwegian Meteorological Institute in Bergen beschäftigen sich seit Jahren mit einer Welle, deren Höhe 2007 im Ekofisk-Öl- und Gasfeld vor Norwegen gemessen wurde.

Sie hat sogar einen eigenen Namen: Andrea. Denn mit 21 Metern ist sie eine der höchsten und steilsten je gemessenen Brecher der Welt. Sie war Teil eines Sets aus genau 13.535 Wellen, die von vier Laseranlagen aufgezeichnet wurden. Die Forscher untersuchen ihre Systematik seit vielen Jahren.

Daraus ergibt sich, dass die Wellenfront damals etwa hundert Meter breit gewesen sein muss und sich mit 64 Kilometer pro Stunde fortbewegt hat. Die Analyse der seit 2003 fortlaufenden Aufzeichnungen hätten zudem ergeben, dass alle drei Wochen eine Welle vom Typ «Andrea» durch das Seegebiet rollt. In einem Sturm könnten Monster-Wellen sogar zweimal am Tag auftreten. Die Häufigkeit der sogenannten Kaventsmänner ist damit deutlich höher als bisher angenommen.

Dazu passt die Datenauswertung einer automatischen Messboje zwischen Island und den britischen Inseln vor drei Jahren. Sie erfasste eine 19 Meter hohe Welle, die sich bei einer Windstärke von gut 44 Knoten aufbaute. Die bis dato offiziell höchste, auf See gemessene Welle war nur unwesentlich niedriger: 18,275 Meter. Sie wurde am 8. Dezember 2007 ebenfalls im Nordatlantik registriert.

Es steht also längst fest, dass es sie gibt, die Monster-Wellen, und eben nicht jede Geschichte darüber ist Seemannsgarn. Die Wahrscheinlichkeit, auf einen echten Kaventsmann zu treffen, ist allerdings nach wie vor äußerst gering.

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