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Das KIS-Prinzip: Keep it simple

Wer auf Klimbim verzichtet, kommt zum Wesentlichen

Das KIS-Prinzip: Keep it simple
Unverzichtbar: Eine analoge Windrichtungsanzeige vom Typ Windex © Windex

Der Blick in Häfen und Landstellplätze zeigt völlig überausgerüstete Boote. Leider verhindert der ganze Klimbim die Nutzung. Heute gibt es für jede erdenkliche Situation spezielles und vielleicht auch irgendwann mal irgendwie sinnvolles Zubehör: Beispielsweise AIS-Tracker für Schiffsinfos, motorisierte Ankerwinschen, Bugstrahlruder, Radar, Satcom-Kuppeln, Sonnenkollektoren, Windgeneratoren, Windmessanlagen, fließend warmes Wasser, Heizung, Klimaanlage, elektrische oder hydraulische Helferlein für dies und das. Die Kataloge und Websites der Ausrüster sind voll davon.

Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 03.12.2015, aktualisiert am 19.05.2023

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • der gravierende Unterschied zwischen der Technik in Autos und Booten
  • welches Equipment eher von Segeln abhält als nützlich ist
  • wie versierte Blauwassersegler ihre Boote ausrüsten
  • warum der segelnde Minimalist Bernard Moitessier orientierend ist
  • wie Sie Ihren eigenen Kompromiß finden

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Obwohl Boote vermarktet werden wie Autos, erreichen sie leider nicht die Perfektion und Zuverlässigkeit eines PKW. Das liegt an den kleinen Stückzahlen, an der unterschiedlichen Nutzung von Autos im Vergleich zu Booten und manchmal auch an der erschütternd dürftigen Qualität manchen Zubehörs. Ein Auto wird sorgfältiger konstruiert und es wird regelmäßig gewartet. Mängel werden an der Tankstelle, in der Werkstatt oder spätestens beim TÜV entdeckt. Zwar werden Boote beworben wie Autos, damit enden hinsichtlich Zuverlässigkeit aber leider schon die Gemeinsamkeiten.

Je mehr «nice to haves» am Motor- oder Segelboot eingebaut sind, desto störanfälliger und wartungsintensiver ist das Boot. Je weniger Extras man hat, desto mehr Ruhe und Zeit bleibt Ihnen mit der Familie und Freunden für schöne Stunden auf dem Wasser. Je einfacher und auch für den Laien verständlich das Zubehör konstruiert ist, desto besser lässt es sich benutzen - und ab zu zu pflegen. Schauen Sie sich also genau an, was Sie kaufen. Bestimmte Modelle alter Lewmar Winschen beispielsweise mussten für die übliche Reinigung und Schmierung ihres Innenlebens komplett vom Boot abgebaut werden. Das ist kaum zum glauben, aber wahr. Außerdem braucht man dazu zöllige anstelle metrischer Innensechskantschlüssel. Als ich mich das erste mal damit vergnügte, brauchte ich eine ganze Weile, um dahinter zu kommen.

Verbringen Sie am besten mehrere Sommer mit Ihrem gebraucht gekauften Boot, nutzen Sie es einfach und überlegen sich genau, was Sie wirklich an Bord brauchen. Ein Bugstrahlruder ist praktisch, keine Frage. Stehen die Kosten des nachträglichen Einbaues im Verhältnis zum Nutzen? Wie oft brauchen Sie es in einer Saison wirklich? Gleiches gilt für den Komfort. Brauchen Sie tatsächlich fließend warmes Wasser, wie wir es von daheim kennen? Männer waschen sich ihre kurzen Haare unter kaltem Wasser und steuern für ihre Liebste einen Hafen mit gescheiter Dusche an.

Ähnlich verhält es sich mit dem Radar und dem AIS-System, welches Sie über den Kurs und die Geschwindigkeit der umgebenden Schiffe informiert. Bei üblichen Bedingungen, also dann, wenn Sie Ihre Freizeit auf dem Wasser verbringen, brauchen Sie das nicht. Wozu braucht eine Segelyacht eine elektronische Anzeige der Windrichtung und -stärke, wenn der Blick auf's Wasser und nach oben in Top unter den Windex diese Information jederzeit für kleines Geld analog bietet?

Ich möchte hier nicht den extremen Minimalismus, wie ihn der legendäre Weltumsegler und Aussteiger Bernard Moitessier einst mit seiner «Joshua» auf die Spitze trieb, nachbeten. Aber er hat viel für sich. Auch korrigiert er die Auswüchse unserer Konsumhaltung und modernen Warenwelt.

Es gibt sinnvolle, langlebige und auch zuverlässige Ausrüstungen. Ohne Bordtoilette geht es ab einer gewissen Bootsgröße nicht. Das einfachste manuelle Modell von Jabsco für derzeit 129 € in der Kompaktversion und 193 € mit Standard Schlüsselweite reicht (Preise Stand 2015). Ein simples Bord-WC hält Jahre und verkraftet auch Toilettenpapier. Für dieses gängige Modell gibt es überall Ersatzteile. Es ist so günstig, dass Sie sie nach einer Weile einfach ersetzen, es benutzen, instandhalten und wieder vergessen. Beim Sanitärschlauch sollten Sie nicht sparen. Da wird die beste, die geruchssichere Variante genommen und nicht der Billigheimer, wie ihn die meisten Serienwerften sträflicherweise einbauen.

Eine Dusche mit Druckwasserpumpe finde ich ab einer gewissen Bootsgröße ebenfalls praktisch. Eine gescheite Pumpe hält Jahrzehnte. Ich möchte nach dem Sprung in die schönste Badeanstalt der Welt, das Meer, das Salz vom Körper haben. In diesem Zusammenhang: eine Füllstandsanzeige für sämtliche Wassertanks (ebenso wie für Diesel) ist ebenfalls praktisch. Damit ich weiß, wann die Vorräte zur Neige gehen. Ein Segelfreund lächelt darüber und sagt "brauche ich alles nicht". Wenn sie ohne Pumpe, Brause und Tankanzeigen klarkommen, umso besser! Nach meiner Beobachtung geben Tankanzeigen von Vetus leider alle paar Jahre den Geist auf. Keine Ahnung warum die im Auto ewig hält, die von Vetus an Bord nicht. Ich ersetze gerade die dritte Tankanzeige.

Eine Ankerwinde mit schwerem wie teurem Zubehör (beispielsweise einer vorne zusätzlichen Batterie) erscheint mir beim kleinen bis mittelgroßen Boot entbehrlich. Ein Anker bis etwa 20 Kilo lässt sich an der Ankerleine und wenigen Metern Kettenvorlauf von Hand bergen. Das macht etwas Mühe, spart Geld, Zeit und Ärger bei späteren Reparaturen und nebenbei Gewicht weit vorne. Ich lasse neuerdings bei schönem Wetter den Kettenvorlauf weg. Die Kette liegt abgeschäkelt in der Bilge meines Bootes.

Die Brenta 80 DC ist nicht nur äußerlich schlicht. Sie wurde auch überlegt und zweckmäßig ausgestattet
Die Brenta 80 DC ist nicht nur äußerlich schlicht. Sie wurde auch überlegt und zweckmäßig ausgestattet © www.yyachts.de/de/Jesus Renodo

Die soeben auf den Bootsmessen in Cannes und Genua vorgestellte Brenta 80 DC wurde bewußt mit bewährter Technik ausgestattet. Als Maschine kam bei der 24 m Yacht ein bewährter Yanmar zum Einsatz. Er läuft ohne kompliziertes elektronisches Motormanagement und lässt sich überall auf der Welt warten und reparieren. Sollten Sie ein Boot neu oder gebraucht kaufen oder wenn bei Ihnen an Bord der Einbau einer neuen Maschine ansteht, tun Sie sich einen großen Gefallen, indem Sie auf eine möglichst simple und langlebige Bauwese des Motors achten.

Bei den 24 Volt Bordtoiletten wurden nicht die günstigen, sondern die besten von Tecma genommen. Zum Segeln kam eine nachweislich sichere und verschleißarme Tauwerk- und Klemmen Kombination zum Einsatz. Das Unterliek des Großsegels wird mit einer üblichen Talje im Baum von Hand wie bei der Jolle oder mittelgroßen Yacht durchgesetzt. Einzig der Baumniederholder und das Achterstag werden hydraulisch mit der bewährten Handpumpe von Lewmar/Navtec wie beim Regattaboot bedient. Das hält und geht immer. Hinter dem Boot stehen der versierte Admirals-Cup Regattasegler, Bootsbauer und Hanse Yachts Gründer Michael Schmidt und sein Kollege Andreas Bock. Machen Sie vorerst einen weiten Bogen um BUS-Systeme. Die funktionieren an Land und wie ich höre an Bord meistens. Mir ist meistens zu wenig. Wollen Sie sich Ihre kostbare Freizeit an Bord mit Störungssuche vergällen?

Leider wirft Schmidt bei seinen aktuellen Y-Yachts Neubauten das KIS-Prinzip mit Schnickschnack, wie beispielsweise vom Handy aus fernbedienbaren, ausklappbaren Badeplattformen und Heckgaragen für's Dinghy über Bord. Solche Sachen verkaufen sich gut und funktionieren bestimmt in Cannes und Genua auf der Messe. Ich hätte keine Lust, nach der zweiten Saison in der Bucht von Espalmador mit dem Techniker zu telefonieren, zu bebooten und zu lernen, wie ich den Quatsch wieder in Gang kriege. Ich möchte mich an Bord vor Espalador mit anderen Sachen beschäftigen. Zur Erinnerung: KIS heißt weglassen.

Wer sein Boot nutzt statt repariert, segelt mit bewährter Hardware: «Bestevaer 2» in der Nordsee
Wer sein Boot nutzt statt repariert, segelt mit bewährter Hardware: «Bestevaer 2» in der Nordsee © www.dykstra-na.nl / Gerard Dykstra

Die «Bestevaer 2» des holländischen Hochseeseglers und Konstrukteurs Gerard Dykstra verzichtet auf Klimbim. Das Boot ist schiere Funktion: Die Poller zum Vertäuen des Bootes sind auf das Aluminiumdeck geschweißt. Das spart den üblichen Elektroloyse-Ärger mit verschraubten Beschlägen. Unter Deck hat Dykstra Plastikkörbe aus dem Baumarkt. Diese Lösung vn Verstauen von Kleinkran ist einfach, leicht und günstig. Nach vielen Tausend gemeinsam mit seiner Frau auf dem Atlantik zwischen Grönland und Südamerika gesegelten Meilen, würde Dykstra an seinem zweckmäßigen Schiff die Farbe an Deck weglassen.

Einfachheit auf dem Wasser ist der Garant für Glück

Lewis Francis Herreshoff

Auch die «Kathena Nui» von Deutschlands berühmtestem Weltumsegler Wilfried Erdmann ist ein unkaputtbares Keep it simple Boot. Zwei einhand Weltumsegelungen, die zweite von Ost nach West gegen Wind und Strömungen, haben es bewiesen. Das 10,50 m Boot ist gleichermaßen spartanisch wie zweckmäßig, mit einer Pinne (statt Rad), einem immer funktionierenden Bindereff (statt störanfälligen Rollgroß) unterwegs. Die Vorsegel werden an Stagreitern gesetzt. Hält lange und funktioniert immer.

«Simplicity afloat is the surest guarantee of happiness»

Auch wenn Sie nicht so große Törns planen, sondern nur ab und zu auf dem Hauslago, vor ihrer Lieblingsinsel oder -küste unterwegs sind: Lassen Sie sich nicht beirren, was Ihnen in Zeitschriften und Katalogen oder von rhetorisch geschulten Verkäufern alles nahegelegt wird oder was Ihr Nachbar im Hafen vielleicht gerade eingebaut hat. Das wusste bereits der berühmte amerikanische Bootskonstrukteur Lewis Francis Herreshoff als er sagte: «Einfachheit auf dem Wasser ist der sicherste Garant für Glück.»

Konzentrieren Sie sich auf die wesentlichen Dinge, nämlich eine zum tatsächlichen statt angenommenen Bootsgewicht passende, zuverlässige, einfach aufgebaute Maschine, die sie selbst soeben noch verstehen und warten können. Achten Sie auf den üblichen Verbrauch (maßgeblich den Stromfresser Kühlbox) abgestimmte Batterie, den Tiefentladeschutz gleich mit dazu und ein gutes, intelligent geregeltes Ladegerät. In diesem Zusammenhang: Ein Ladegerät ist nach meiner Beobachtung leider nach zehn bis 15 Jahre hin. Als Segler nehmen Sie im Zweifel ein bis zwei Nummern größeres Equipment wie Schienen, Umlenkrollen, Winschen, Klemmen und Tauwerk. Serienmäßig bekommen Sie von Serienbootsbau leider nur das Allernötigste, eine Proforma-Ausstattung, weil ab Werk leider an allen Ecken und Enden gespart wird.

Keep it simple und legen Sie ab

Für übliche Törns reichen nach meiner Beobachtung eine Logge, ein Echolot und ihr siebter Sinn. Logge und Lot gibt es in zuverlässiger, etwa 15-20 Jahre haltbarer Qualität als preiswertes Kombiinstrument. Mittlerweile segele auch ich mit einem Plotter. Dolle Sache, erleichtert das Bordleben unterwegs, Kurswahl, Navigation und Routenplanung ungemein. Nehmen Sie ein einfaches Modell ohne Schnickschnack und endlos viele Funktionen - oder eine zuverlässige App auf Ihrem Handy. Ihr siebter Sinn entwickelt sich, wenn Sie möglichst oft draußen auf dem Wasser statt im Hafen beim Basteln sind. Meine Devise und Empfehlung: Lassen Sie sich nicht vom Bootshändler, den bunten Postillen oder dem Nachbarn im Hafen einreden. Suchen und finden Sie Ihren eigenen Kompromiss zwischen praktisch und überflüssig. Keep it simple und legen Sie so oft es geht ab.

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VG