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Flaschenpost: Zwischen Romantik und Wissenschaft

Sie treibt dahin, getragen von Gezeiten, durchquert Ozeane, umrundet Kontinente – die Flaschenpost

Flaschenpost: Zwischen Romantik und Wissenschaft
Die Sehnsucht nach Abenteuer und Romantik … alles in einer Flasche! © xat.ch/pixabay

Die Flaschenpost ist die kleinste und vielleicht romantischste Art der Kommunikation, in jedem Fall aber die kühnste: Denn sie verlässt sich auf Wind, Strömung, Zufall und Zeit. Die Flaschenpost ist eine Nachricht an das Unbekannte und eine Hoffnung, dass sie in der Ferne jemand liest.

Von Michael Kunst, veröffentlicht am 08.04.2025

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Wer hat die erste Flaschenpost erdacht?
  • Warum eine Flaschenpost eigentlich erst seit kurzer Zeit funktionieren kann.
  • Der Reiz, eine Nachricht dem Zufall und seinen Unwägbarkeiten zu überlassen.
  • Driftende Objekte – vulgo: Flaschenposten – im Dienst der Meeres- und Klimaforschung.
  • Von der „Fasspost“ des Kolumbus bis zur Raumsonden-Flaschenpost auf der „Voyager“.

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Flaschenpost /Duden: Nachricht in einer verschlossenen Flasche, die ins Meer geworfen wird in der Hoffnung, dass sie ans Land getrieben und von jemandem gefunden und gelesen wird.



Flaschenpost/Wikipedia: Eine Flaschenpost ist eine leere Flasche oder ein anderes schwimmfähiges Gefäß, das mit einem Dokument und eventuell anderen kleineren Gegenständen gefüllt wird, um – wasserdicht verschlossen – in ein Gewässer (meist einen Fluss oder einen Ozean) geworfen zu werden. Der Sender hat dabei die Hoffnung, dass die Strömung die Botschaft an einen anderen Ort an Land spült, wo sie dann von einem Finder entdeckt werden kann.

Just a castaway, an island lost at sea, oh / Another lonely day, no one here but me

The Police, Message in a Bottle

Wie wäre es mit ein wenig tagträumen: Sie laufen bei Ebbe einen einsamen Strand entlang, die Wellen spülten während der vergangenen, stürmischen Nacht verwaschene Holzstücke, reichlich Muschelschalen und (hoffentlich) nur wenig Plastik auf den Sand. Ihr Blick streift wie selbstverständlich über das Angeschwemmte – Hand aufs Herz: Käme ihnen in dieser Situation nicht auch der Gedanke „was wäre, wenn ich jetzt eine Flasche mit einer Nachricht darin finden würde?“.
Die Flaschenpost übt seit jeher eine Faszination auf die Menschen aus. Sie ist Sinnbild von Abenteuer und Sehnsucht, von verloren sein und Wiederfindung, von Schicksal und Zufall. Eine einfache Glasflasche, ein Zettel mit einer Botschaft, luft- und wasserdicht versiegelt, an einem fernen, exotischen Gestade den unberechenbaren Kräften des Meeres anvertraut, um eines Tages, gelenkt vom Schicksal respektive den Elementen, von fremden Händen gefunden zu werden. Von mir gefunden zu werden … 

© pixabay/marcmanhart
© pixabay/marcmanhart

Dieser Reiz des vermeintlichen Zufalls, dieses Unbekannte, verbunden mit einer Hoffnung – welches Geheimnis wird mir die Nachricht in der Flasche offenbaren, welche Möglichkeiten werden sich nach Lektüre des Flaschenbriefes für den Finder auftun? Auch heute, in Zeiten vermeintlich sozialer Medien in einem digitalen Universum, ist die analoge Botschaft, die in einem kaum zu fassenden Element wie dem Wasser unserer Flüsse, Ozeane und Meere transportiert wird, das Mysterium par excellence.

Zwischen Romantik und Forschung

Es mag paradox erscheinen, aber der Ursprung der Flaschenpost hat Nullkommanichts mit Romantik, Sehnsucht oder gar Abenteuer zu tun. Tatsächlich wurden die ersten Flaschenposten, die man auch buchstäblich als solche bezeichnen könnte, im Dienste der Meeresforschung und somit Wissenschaft ausgesetzt. Und das gleich zu Hunderten und Tausenden.

1846 war es der Ozeanograf Matthew Fontaine Maury, der systematisch Flaschen mit verzeichneten Koordinaten aussetzte, um die Meeresströmungen besser zu verstehen. Seine Erkenntnisse waren bahnbrechend und halfen, effizientere Seehandelsrouten zu planen.
Eines der längsten Experimente dieser Art begann 1906, als die Deutsche Seewarte tausende Flaschen mit wissenschaftlichen Botschaften dem Weltmeer übergab. Die Finder dieser Flaschen wurden gebeten, den genauen Fundort sowie Datum und weitere Informationen an die Seewarte zu übergeben. Die letzte von ihnen wurde über 100 Jahre später, im Jahr 2018, an einem Strand in Australien gefunden.

Im Strom der Meere

Doch der Wille, Strömungen in der See zu verstehen, war bereits in der Antike vorhanden. So setzte offenbar der griechische Philosoph Theophrastos im 4. Jahrhundert v. Chr. Behälter im Mittelmeer aus, um Meeresströmungen zu erforschen. Das waren vermutlich die ersten dokumentierten Versuche, das Meer wissenschaftlich zu begreifen. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit handelte es sich jedoch bei dem Experiment des Philosophen nicht um Flaschen, sondern um versiegelte kleine Holzkisten, die er den Wellen und Strömungen überließ. Glasflaschen gibt es zwar seit etwa 3.500 Jahren, doch die viel zu wertvollen Behälter wurden höchstens zu rituellen Zwecken verwendet. Dass man die fragilen Flaschen einfach so ihrem Schicksal in der See überließ, gilt aus heutiger Sicht als unwahrscheinlich.
So dienten im Laufe der Jahrhunderte die unterschiedlichsten Behälter für die Übermittlung von Nachrichten, meist Notrufen. Aus dem alten China ist bekannt, dass während der Qin-Dynastie (3. Jahrhundert v. Chr.) Soldaten in Not hölzerne Behälter mit Hilferufen ins Wasser warfen. Dabei handelte es sich jedoch nicht um Schiffbrüchige, die auf einem fernen Eiland ihr Dasein fristeten, sondern Soldaten, die flussabwärts Verstärkung anforderten. Überhaupt die Hoffnung, aus einer prekären Situation gerettet zu werden oder wichtige Informationen kurz vor einem Desaster der Nachwelt zu übermitteln – auch hierfür muss der Begriff Flaschenpost immer wieder herhalten.

Eine Kokospost? © pixabay
Eine Kokospost? © pixabay

Angeblich wurden Nachrichten in Kokosnussschalen den Wellen übergeben, oder in ausgehöhlten Stäben, die mit Wachs versiegelt wurden, steckten Hilferufe von Schiffbrüchigen, die auf einsamen Inseln dahin vegetierten und so auf Rettung hofften. Kolumbus musste auf dem Rückweg von seiner „Entdeckung“ des neuen Kontinents der Legende nach ebenfalls auf diese Art der Nachrichtenübermittlung zurückgreifen. Seine „Nina“ geriet vor den Azoren in einen Sturm, der den Genueser fürchten ließ, dass seine Entdeckerfahrt kurz vor der Heimat scheitern könnte. Also beschrieb er angeblich ein Blatt mit der genauen Wegbeschreibung zur Neuen Welt und steckte es in ein versiegeltes Fässchen, das er in die Wellen warf. Kolumbus und seine Karavelle überstanden bekanntlich den Sturm, der Entdecker konnte seine Neuigkeiten persönlich überbringen. Und die Fasspost? Wurde nie gefunden – oder doch?

Kommunikation und Vernetzung

Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Die Driftkörper des griechischen Philosophen Theophrastos oder eben die Fasspost des Kolumbus werden an einem weit vom Startort entfernten Gestade gefunden. Und dann? Zu viele Komponenten müssten zusammen kommen, damit die Nachrichtenübermittlung tatsächlich stattfinden kann: Der Finder muss sich der Bedeutung seines Fundes bewusst sein, also lesen können! Und das auch noch in einer ihm vielleicht fremden Sprache! Sollte all dies der Fall sein – wie wird dann die Nachricht an die dafür bestimmten Personen überbracht?
Es liegt also nahe, dass man über eine Art globalisiertes Nachrichtensystem verfügen muss, damit die Idee einer Flaschenpost überhaupt funktionieren kann. Ein organisierter, internationaler Nachrichtenaustausch setzte erst mit den europäischen Handelsgesellschaften während der Kolonialisierung ein. Mit der Gründung des Weltpostvereins (1874) waren schließlich die Voraussetzungen für den Postverkehr geschaffen. Und die wichtigste Aufgabe des Vereins war eine weltumspannende, rasche Zustellung von Briefen und Paketen sicherzustellen. Zudem war die Alphabetisierung im 19. Jahrhundert in den meisten Ländern in vollem Gange und zumindest für die Kolonial-Sprachen Englisch, Französisch und Spanisch ließ sich nahezu überall ein Übersetzer finden.

Fantasie oder Realität?

Waren also die frühen Flaschenposten nichts anderes als Hirngespinste oder romantische Vorstellungen? Tatsächlich müssen viele der überlieferten Geschichten rund um die Nachrichtenübermittlung per Driftkörper mit Vorsicht genossen werden. Berühmt ist etwa die Geschichte dieses japanischen Seemannes: Der Legende nach soll Chunosuke Matsuyama im Jahr 1784 gemeinsam mit etwa 43 anderen Männern auf einer entlegenen Südseeinsel (vermutlich südlich des heutigen Mikronesien) Schiffbruch erlitten haben. Alle starben dort – vermutlich an Hunger oder Krankheiten.
Bevor Matsuyama das Zeitliche segnete, soll er noch einen Hilferuf und Bericht über die Tragödie in ein Stück Palmenholz eingeritzt haben. Dieses Stück Holz habe er dann in eine mit Harz oder Wachs versiegelte Kokosnuss gesteckt und ins Meer geworfen – als letzten, verzweifelten Versuch, die Welt von ihrem Schicksal zu unterrichten. So weit, so gut. Doch angeblich soll die Kokosnusspost 151 Jahre später, also 1935, tatsächlich in Hiraturemura, Matsuyamas mutmaßlichen Heimatdorf in Japan, angespült und gefunden worden sein. Nur leider, leider wurde sie nirgendwo aufbewahrt und blieb der Nachwelt nicht erhalten.

Die Nina von Kolumbus im Nachbau © Greg Montani
Die Nina von Kolumbus im Nachbau © Greg Montani

Man kann getrost davon ausgehen, dass die meisten romantischen oder abenteuerlichen Vorstellungen, die wir uns auch heute noch um die Flaschenpost machen, auf Abenteuergeschichten zurückzuführen sind, mit denen uns Schriftsteller wie Jules Verne oder Edgar Allen Poe beglückten. Jules Verne erwähnt die Flaschenpost in seinem Roman „Die geheimnisvolle Insel“ (1874). Darin werfen die gestrandeten Protagonisten eine Flaschenpost ins Meer, um auf ihre missliche Lage aufmerksam zu machen. Ein klassisches Motiv der Hoffnung, dass ein unberechenbares Schicksal einen doch noch zu Hilfe eilen kann.

Symbol der Hoffnung

Bei Edgar Allan Poe spielt die Flaschenpost eine zentrale Rolle in seiner Erzählung "The Manuscript Found in a Bottle" aus dem Jahr 1833. In dieser düsteren Geschichte gerät der Erzähler in einen gewaltigen Sturm und wird auf ein geheimnisvolles Geisterschiff verschlagen. Während das Schiff in die Tiefen des Meeres gezogen wird, hinterlässt er seine letzte Nachricht in einer Flasche, in der Hoffnung, dass sie eines Tages gefunden wird. Die Erzählung nutzt die Flaschenpost als Symbol für eine letzte Botschaft aus der Vergessenheit und die Ungewissheit des Schicksals.

Doch auch in modernen Zeiten entbehrt die Flaschenpost nicht einer gewissen Romantik und Nähe zum Schicksal. Es gibt unzählige Geschichten von Menschen, die Ihre Sehnsüchte einer Flaschenpost anvertrauten. Und deren Wünsche nach häufig langen Irrwegen des transparenten Driftkörpers gingen tatsächlich in Erfüllung. Oder fast …

Wenige Beispiele: Ein deutscher Soldat namens Richard Platz warf 1916 eine Flaschenpost in die Ostsee. Die Flasche mit der darin verschickten, handgeschriebenen Karte wurde 2014 auf der dänischen Insel Amager entdeckt. Der Finder konnte die Botschaft einer Enkelin von Platz überreichen – ergreifend, nicht wahr? Oder dies: Ein schwedischer Matrose warf eine Flaschenpost mit einem Liebesgruß ins Meer. 1979 – 23 Jahre später – wurde sie von einer Frau in Italien gefunden. Die beiden begannen einen Briefwechsel, verliebten sich … und heirateten!
Eine Flaschenpost, die 1906 von der Deutschen Seewarte im Rahmen eines wissenschaftlichen Projekts zur Erforschung von Meeresströmungen ausgesetzt wurde, fand man 2018 an der australischen Westküste. Mit 112 Jahren gilt sie als die älteste bekannte Flaschenpost, die je gefunden wurde – mit „amtlicher Bestätigung“ vom Guinness-Buch der Rekorde.

Im Jahr 1998 verfasste Makenzie Van Eyk, damals Viertklässlerin, im Rahmen eines Schulprojekts eine Nachricht und warf sie in einer Flasche in den Lake St. Clair/Ontario/USA. 26 Jahre später entdeckte der Kindergarten-Schüler River Vandenberg die Flasche. Überraschenderweise stellte sich heraus, dass die ursprüngliche Verfasserin die Mutter von Rivers Mitschülerin Scarlet war.

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Die Nina von Kolumbus im Nachbau © Greg Montani

Manche Flaschen reisen Jahrzehnte, manche nur wenige Tage. Ein besonders kurioser Fall ereignete sich 1956, als ein Mann eine Flaschenpost an seine Verlobte schickte – und sie diese wenige Wochen später an einem Strand fand, an dem sie sonst eigentlich nie spazieren ging.

Romantisch und wissenschaftlich

Das Prinzip der Flaschenpost blieb der Wissenschaft übrigens bis heute erhalten. Zwar bewältigen die modernen Driftkörper ähnliche Aufgaben für die Meeres- und Klimaforschung wie ihre wissenschaftlichen, namensgebenden Vorgänger. Doch ihr Aussehen hat sich drastisch verändert.
Mit GPS-Trackern ausgerüstet ermöglichen diese Drifter es Ozeanografen, Meeresströmungen in Echtzeit zu überwachen. Sie helfen dabei, Klimaveränderungen zu erforschen, Umweltverschmutzungen zu verfolgen und Vorhersagen für die Bewegung von Ölverschmutzungen oder Plastikmüll zu erstellen. Moderne Drifter sind mit verschiedenen Sensoren ausgestattet, die Daten zu Temperatur, Salzgehalt, Strömungsgeschwindigkeit und Mikroplastikbelastung sammeln können. Viele dieser Geräte verwenden Iridium- oder Argos-Satellitensysteme, um Daten von den entlegensten Regionen der Ozeane zu senden.

“The Sounds of Earth” ist der Titel einer goldenen Schallplatte mit Bild- und Audiodaten, die sich seit 1977 an Bord beider Voyager befindet ©  /pixabay Wiki.
“The Sounds of Earth” ist der Titel einer goldenen Schallplatte mit Bild- und Audiodaten, die sich seit 1977 an Bord beider Voyager befindet © /pixabay Wiki.

Doch wer nun glaubt, diese modernen Flaschenposten wären hoffnungslos unromantisch, seelenlos und vom Menschen, statt von den Elementen gelenkt, der sollte einen Blick auf die modernsten Driftkörper werfen, die der Mensch je ihrem Schicksal überließ: die beiden Sonden Voyager 1 und 2. Diese „kosmischen Flaschenposten“ sind nicht nur technische Meisterwerke der Menschheit, sondern auch Symbolträger der menschlichen Kultur, ja unseres Daseins. Sie befördern Grußbotschaften an etwaige außerirdische Lebensformen in die Weiten des Universums. Auch so bleibt die Flaschenpost ein Symbol für die Unvorhersehbarkeit des Lebens. Poetische Gedanken oder schlichte Informationen werden in das „Unbekannte“ gesandt. In der Hoffnung, dass wir eines Tages – rechtzeitig! – eine Antwort erhalten.

A hundred billion bottles washed up on the shore / Seems I'm not alone at being alone

The Police, Message in a Bottle

Carl Sagan nannte die Voyager-Sonden „eine Flaschenpost ins kosmische Meer“.
Eine Nachricht an das Universum, dass es uns gab – „und vielleicht sogar, dass wir freundlich waren“.