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Abenteuer8 min Lesezeit

Schweizer Sympathieträger

Der junge Alan Roura ist schon zum zweiten Mal Vendée Globe-Finisher – und will me(e)hr!

Schweizer Sympathieträger
© Alan Roura/la Fabrique

Unter allen Helden und Siegern der Vendée Globe 2020/21 nimmt der junge Schweizer Alan Roura einen ganz besonderen Platz ein. Der könnte auf Dauer mehr wert sein als ein Podiumsplatz. Porträt eines Hochseeseglers, der me(e)hr kann … und will!

Von Michael Kunst, veröffentlicht am 25.02.2021

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Porträt des Schweizer Ausnahme-Hochsee-Seglers Alan Roura
  • Wie Roura zum Hochsee-Regatta-Segeln kam
  • Die besonderen Herausforderungen für junge IMOCA-Segler
  • Warum die Vendée Globe 20/21 eine besondere Herausforderung für den jüngsten Teilnehmer war

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Dieses Mal wurde viel, sehr viel über die Vendée Globe berichtet. Nie zuvor hat eine Hochsee-Regatta derart hohe Aufmerksamkeitswerte erreicht. Nie zuvor konnte eine Einhand-Nonstop-Weltumseglung so viele Segel-Laien für sich begeistern. Nie zuvor hat ein Segelabenteuer so viele Sieger und Helden hervorgebracht.

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Wie etwa den Triumphator nach Platzierung Charlie Dalin, der als Erster über die Ziellinie vor Les Sables d’Olonnes segelte, aber bald darauf auf den zweiten Rang verwiesen wurde. Den „Winner overall“ Yannick Bestaven, der sich an der Suche nach dem havarierten Kevin Escoffier beteiligt hatte, dafür eine zehnstündige Zeitgutschrift erhielt und so als eigentlich Fünftplatzierter letztendlich auf den Thron dieser Vendée Globe stieg. Oder der Held aller Salzbuckel Jean Le Cam (Rang 4 overall), der als 61-Jähriger auf einem betagten IMOCA 60 bei seiner fünften Vendée Globe unterwegs war, über die gesamte Regatta hinweg eine tolle Performance segelte und zwischendurch mal eben schnell Kevin Escoffier in den Weiten des Indischen Ozeans aus seiner Rettungsinsel fischte.

Sieger, nichts als Sieger

Es gab mit dem Deutschen Boris Herrmann einen Sieger der Herzen, weil ihn seine fatale Kollision mit einem Fischerboot kurz vor dem Ziel den Vizetitel kostete. Unvergesslich auch Clarisse Cremer, (nicht nur) Heldin aller segelnden Frauen, die nach dem Abbruch ihrer beiden Konkurrentinnen Samantha Davies und Isabelle Joschke als junge Newcomerin in der IMOCA 60-Szene als erste Frau dieser Vendée Globe ins Ziel kam. Und nebenbei noch den seit genau 20 Jahren bestehenden Rekord der legendären Ellen MacArthur brach.

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Und dann wäre da noch Alan Roura. Der 27-jährige Schweizer vereint Sieger- und Heldenstatus in vielerlei Hinsicht und machte aus dieser Weltumseglung ein Lehrstück für Seemannschaft, Durchhaltevermögen und mentale Stärke.
Wenn man(n) zudem „Benjamin“ der Flotte ist, von allen Beteiligten als Sunnyboy und Dauer gutgelaunter geschätzt wird, steht dem Status „Sympathie-Held“ bei dieser Vendée Globe eigentlich nichts mehr im Wege.

Sympathischer Newcomer mit Potential

Alle, die Alan Roura in seinem Heimathafen La Base im südbretonischen Lorient erleben oder schon die Gelegenheit hatten, mit ihm zu segeln, sind sich einig: Dieser Typ ist wie geschaffen für das, was er da macht. Nämlich segeln, segeln und nochmals segeln.
Und im gewissen Sinne stimmt das mit dem „geschaffen“ sogar. Denn Alan Roura hat nahezu sein gesamtes (junges) Leben auf dem Wasser verbracht. Und nie einen Hehl daraus gemacht, dass dieses Element immer im Mittelpunkt seiner Existenz stehen wird.
Seit seinem zweiten Lebensjahr begleitete er seine Eltern bei deren Daysailings auf dem Genfer See; mit sechs Jahren segelte er die ersten Schläge im Optimisten. Alan war acht Jahre jung, als er mit seinen Eltern den großen Törn über die Ozeane unseres Blauen Planeten antrat – eine Langfahrt, die mehr als 11 Jahre dauern sollte. Alan wurde buchstäblich von den Meeren durch seine Kindheit und Jugend gewiegt und geschaukelt. Er erlebte unzählige Abenteuer unter dem Schutz seiner Eltern und älteren Geschwister, meisterte spielerisch das nicht immer so rosige Leben einer Familie auf Langfahrt.

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Als 15-Jähriger verknallte er sich, nein, nicht in eine karibische Schönheit, sondern in ein Wrack von einem Holzboot.
Es handelte sich um einen der ersten Mini-Prototypen, dessen Rumpf noch aus Holz war und der irgendwie von Frankreich nach Grenada kam und dort strandete. Alans Taschengeld reichte gerade so für den Kauf des Wracks und der geschickte junge Bastler machte das Boot mit rudimentären Mitteln von den karibischen Yacht-Schrottplätzen wieder einigermaßen segelbereit.

"Segel aber nicht zu weit weg!"

Vorsorglich mahnte der Vater schulterzuckend: „Du kannst los, aber segle nicht aus der Karibik raus. Du bleibst in der Nähe!“
Was dann folgte, muss so etwas wie das Paradies auf Erden, Pardon: auf dem Wasser für einen post-pubertierenden Jüngling gewesen sein. Monate intensiven Segelns, allein auf seinem eigenen Boot! Ohne Elektrik, GPS, ohne Geld, nur was man eben so zum Überleben braucht. Und das kann in dem Alter wirklich wenig sein. „Eine bessere Schule für mein Leben hätte ich mir nicht wünschen können“, sagte Alan einmal in einem Gespräch zum Autor dieser Zeilen. Und wenn wir schon von der Schule reden: Nach diesem monatelangen Abenteuer drehte der junge Weltenbummler allem, was irgendwie mit der Institution Schule zu tun haben könnte, den Rücken zu. „Diese unnötige Paukerei war nichts für mich – ich wollte was Nützliches, etwas fürs Leben lernen!“

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Muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass Alan ein Leben auf oder zumindest am Wasser meinte? Jahrelang schuftete der Teen immer dort, wohin ihn die Langfahrt auf der elterlichen Yacht verschlug. Er schweißte auf Werften in Südamerika, bastelte an Luxusyachten auf Tahiti, „präparierte“ Boote in der Karibik genauso wie auf Neuseeland.
Doch seine wahre Leidenschaft blieb zunächst bei dem 6,50 m kurzen Mini, auf dem er flügge geworden war. Zwar hatte er seinen ersten Mini längst wieder weiterverkauft, doch als er eines Tages durch Zufall bei der Ankunft einer Mini-Transat zugegen war und diese völlig durchgeknallten Typen auf ihren noch verrückteren Booten mit irrem Blick nach 3 Wochen Einsamkeit auf See ankommen sah, gab es nur noch einen Gedanken für Alan: „Genau das will ich auch!“

Vom Yacht-Master zum Hochseeregattasegler – mit gerade mal 20 Jahren

An seinem 18. Geburtstag erhielt Alan als bis dato jüngster Mann das „Yacht Master“-Diplom. Und nachdem er, mit seinem Vater, auf dessen Yacht noch mal eben schnell den Pazifik überquert hatte, machte sich Alan in sein ganz persönliches Mekka auf: Lorient, das südbretonische Zentrum der Hochseeregattasegelei.
Dort ging alles „Schlag auf Schlag: Mini-Transat auf einem Prototyp, der wieder uralt und aus Holz war. Sein Know-how beim Bootsbau hatte sich rumgesprochen, sein Yacht Master Diplom war wie ein Türöffner und mit seiner unkomplizierten, zu jedem und jeder offenen und sympathischen Art überzeugte er bald erste Sponsoren. „Die Leute glaubten an mich. Obwohl ich nun nicht gerade wie der Prototyp eines seriösen Youngsters aussehe, dem man Kampagnen im Wert von ein paar hunderttausend Euro anvertraut, standen mir erstaunlich viele Türen offen!“

So segelte er bald Class 40, fuhr damit korrekte Ergebnisse etwa bei der Transat Jacques Vabre ein und erhielt schnell den (durchaus notwendigen) Respekt in der Szene.
Mit 22 Jahren dann der Paukenschlag: Mit eher wenigen finanziellen Mitteln kaufte er einen (schon wieder!) uralten IMOCA 60, der jedoch den Ruf eines besonders robusten und immer noch wettkampffähigen Hochseerenners hatte. Die „Superbigou“ seines Landsmanns Bernard Stamm brachte Alan an die Startlinie zu Vendée Globe 2016/17. Jüngster Teilnehmer aller Zeiten war der damals 23-Jährige und zudem ein Glückspilz par excellence. Er segelte ein erstaunlich professionelles Rennen einhand, nonstop um die Welt, tauschte auf Hoher See spektakulär ein beschädigtes Ruderblatt aus und platzierte sich auf Rang 12. Für den sehr jungen Skipper und das sehr alte Boot ein mehr als respektables Ergebnis. Und Ermutigung genug, jetzt mal so richtig durchzustarten.

Mehr Geld – mehr Chancen?

Mit „La Fabrique“ stieg bei Alan Roura bald ein finanzkräftiger Sponsor ein, der dem jungen Schweizer Hochseesegler (endlich!) auch einen jungen gebrauchten IMOCA 60 kaufte. Der Finot-Riss hatte mit einer Vendée Globe und dem Barcelona World Race zwar schon zwei Weltumseglungen hinter sich. Doch nach einer Gewichts-Diät und dem (kostspieligen) Anbau zweier Foils fühlte sich Alan Roura konkurrenzfähig.
Das bewies er auch prompt, als er im Sommer 2019 den Einhand-Monorumpf-Rekord für die nördliche Transatlantikroute mit 12,5 h Differenz unterbot.

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Das gab Selbstvertrauen. Kurz vor dem Start zur Vendée Globe 2020/21 ließ der mittlerweile 27-jährige Schweizer verlauten, dass „Top Ten das Mindeste“ sei, was er sich von dieser Einhand-Weltumseglung verspreche.
Doch es kam alles ganz anders. Schon früh musste sich der begnadete Bastler und Préparateur mit technischen Problemen an Bord herumschlagen, die auf anderen Booten mit anderen Skippern garantiert zum Abbruch der Regatta geführt hätten. Doch Roura biss die Zähne zusammen, sah die Top-Segler im südlichen Pazifik enteilen, während er an den Wehwehchen seiner IMOCA 60 bastelte. Zudem erwies sich Alan Roura als höchst talentierter „Flautenflüsterer“: „Egal auf welchem Ozean ich gerade unterwegs war, ich schaffte es immer, mitten in die todlangweiligsten Flauten hinein zu segeln!“
Im Skipper-Jargon heißt das „im Öl stehen“, weil die Wasseroberfläche der Ozeane in den Flauten manchmal etwas ölig wirkt und die Zeit sich zäh und tranig in die Länge zieht. Doch für Roura bekam „im Öl stehen“ noch einen wortwörtlichen, umso penibleren Zusammenhang.
Zweimal explodierte während der Weltumseglung ein Zylinder, der die Pendelkielhydraulik auf seinem IMOCA 60 bewegt. Das jeweilige Ergebnis: Eine gleichmäßige, großflächig gesprenkelte Abdeckung mit Öl im gesamten Kajütbereich. „Es war zum Verzweifeln. Überall dieses eklige Schwarz, überall dieser Geruch“, berichtete Alan Roura später per Videostream von Bord.

Im Öl

Es dauerte tagelang, bis der Wohnbereich an Bord auch tatsächlich wieder als solcher genutzt werden konnte. Die Top-Boote waren da schon 2.000 Seemeilen voraus – uneinholbar! Was dabei für Außenstehende in Vergessenheit geriet, auch weil der junge Skipper kaum Aufhebens drum machte: Roura konnte den Pendelkiel nicht mehr optimal anwinkeln und fuhr deshalb zwei Drittel seiner Weltumseglung mit deutlich reduziertem Leistungspotential.

Doch auf seinen häufig von Bord gesendeten Videobotschaften war von all’ dem Malheur nur wenig zu spüren. Nur ein Mal war er vor Verzweiflung angesichts der schwarzen Pest an Bord am Weinen. Alle anderen Videobotschaften: Spaß, Urlaub, Frohsinn, Übermut, Party und manchmal auch (positiv) nachdenkliches. Vor allem dann, wenn er an sein erst kurz vor der Vendée Globe geborenes Kind dachte. Und an die vielen Fans, von denen er glaubte, dass sie mehr im Sinne von besseren Platzierungen von ihm erwartet hätten.

Doch dem war überhaupt nicht so. Alan Roura war gerade wegen seines Pannen- und Wetter-Pechs in die Herzen seiner Fans gesegelt. Zehntausende folg(t)en ihm über Facebook und über die offizielle Vendée Globe-Site virtuell im Kielwasser. Und Zehntausende litten mit Roura mit, freuten sich über seine Lässigkeit und beteuerten, dass ihnen eine Platzierung sowieso schnurzpiepe sei.

Charakter und Coolness – wichtiger als Platzierungen!

Nur Alan Roura sieht das alles ein bisschen anders. Als 17ter im Ziel der Vendée Globe 20/21 komme ihm wie ein Rückschritt vor, sagte er kurz nachdem er wieder die ersten Schritte auf festem Boden in Les Sables d’Olonnes gemacht hatte. Er sei zwar stolz darauf, alle Schwierigkeiten dieser Weltumseglung gemeistert und überhaupt die große Runde geschafft zu haben. Dennoch: „Ich will unbedingt wieder an den Start der Vendée Globe! Aber nur mit einem Projekt und Boot, das echtes Potential hat.“ Eine Ansage, die umso mehr Gewicht hat, weil Sponsor „La Fabrique“ vertragsgemäß nach dieser Weltumseglung aus dem Projekt Alan Roura wieder aussteigen will. „Ich bin zwar auch Abenteurer, aber in erster Linie professioneller Hochseeregattasegler. Und solche Typen wollen vorne segeln, nirgendwo anders!“

Sprach’s und herzte sein Kind, das er seit seiner Ankunft nicht mehr loslassen wollte. Dabei strahlte er in die Kameras mit seinem fast schon (marken)typischen Roura-Hurra-Lächeln, ließ noch den einen oder anderen lockeren Spruch los und bedankte sich zum x-ten Mal bei seinen Zehntausenden Fans. Die werden ihm treu bleiben, komme, was wolle. Denn so ist das nun mal mit segelnden Sympathie-Helden: Charakter, Empathie und Coolness sind ihr größter Erfolgsfaktor. Gute Platzierungen sind willkommen, aber längst nicht so wichtig!