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Motorboot Abenteurer

Mit einem 4,30 Meter kurzen Motorboot über den Atlantik

Motorboot Abenteurer
Die Abenteurer vor ihrer Abfahrt in Dakar mit geschleppten Sprit-Tanks © Kulmala

Historie: 1970 bezwingen die Finnen Seppo Muraja und Arto Kulmala den Atlantik auf einem 4,30 Meter kurzen Marino Mustang Motorboot. Sie schleppen Benzintanks im Wasser hinterher.

Von Carsten Kemmling, veröffentlicht am 20.07.2017, aktualisiert am 17.02.2023

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Der Finne Seppo Muraja war schon immer ein durchgeknallter Typ
  • Waghalsiges Abenteuer: Mit 4,30 m kurzem Motorboot über den Atlantik treiben
  • Ist ein Rennboot see- und wohntüchtig?
  • Tank-Reservoirs wurden mangels Platz an Bord hinterher geschleppt
  • Unmengen Schwierigkeiten und Abenteuer, bis die zwei Finnen am Ziel angelangt sind

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Der Finne Seppo Muraja war schon immer ein durchgeknallter Typ. In den 60er-Jahren machte er sich einen Namen als Wasserski-Pionier, wurde in diesem Sport finnischer Meister und brach den Speed-Weltrekord auf Wasserskiern, indem er sich von einem Flugzeug ziehen ließ.

Aber den Platz in den Geschichtsbüchern des Wassersports sichert ihm ein anderes besonders irres Abenteuer. Der junge Architekt bezwingt 1970 mit einem kleinen Mustang-Marino-Motorboot den Atlantik. Zusammen mit seinem Freund Arto Kulmalja kommt er auf die Idee, das verrückte Unternehmen zu starten. Dabei hat er nicht einmal ein Boot.

Doch für ihn zählt das nicht als Hindernis. Die beiden Finnen aus Turku nehmen Kontakt mit der einheimischen Marino Werft auf und präsentieren dem Besitzer Tor-Björn Fagerström ihren verrückten Plan. Schwer zu glauben, dass er die Youngster nicht sofort aus dem Büro jagt, aber das Werbepotenzial dieses Vorhabens liegt auf der Hand – wenn es denn wirklich klappen sollte.

Der legendäre Marino Mustang auf einer Messe in Finnland
Der legendäre Marino Mustang auf einer Messe in Finnland © Kuva: Pete Aarre-Ahtio

Seetüchtiges Rennboot

Er bietet den Abenteurern einen 6,10 Meter langen Cruiser aus seiner Angebotspalette an, aber die Finnen hatten längst ihr Auge auf den deutlich kleineren Mustang geworfen. Nur 4,30 Meter kurz und 1,70 Meter breit ist das Schiffchen, das seit einem Jahrzehnt in Skandinavien als einer der beliebtesten Motorboot-Typen gilt. Es soll als Rennboot auf offenem Wasser schon eine gute Figur gemacht haben. Muraja und Kulmalja glauben an seine Seetüchtigkeit.

Der Werftchef lässt sich überzeugen und verspricht ein neues Boot als Prämie, wenn sie die Tortour überstehen. Seine Mechaniker bereiten das Schiff vor, rüsten es mit einem kleinen Mast und Segel aus, und hängen einen Volvo Penta Außenbord-Motor vom Typ Archimedes mit 36 PS an. Außerdem wird im Achterschiff eine Art Kiste installiert, um Gepäck und Sprit stauen zu können. Schlafraum bestand für einen Mann unter dem Vordeck.

Das Boot wird per Frachter zum Startpunkt nach Dakar im Senegal verschifft, weil von dort die Strecke über den Atlantik nach Südamerika am kürzesten ist. Mangels Geld macht sich die Crew per erhobenem Daumen als Tramper auf den langen Weg nach Afrika.

Die Strecke über den Atlantik
Die Strecke über den Atlantik © Kulmala

Tank Torpedos hinterher schleppen

Vor Ort müssen die Möchtegern-Abenteurer aber erkennen, dass ihr Plan, zusätzlichen Sprit in zwei nachgeschleppten Tanks zu transportieren, problematisch würde. Sie haben zwar ohnehin geplant, sich überwiegend von der Strömung und vom üblicherweise wehenden Ost-Passatwind schieben zu lassen. Doch es ist klar, dass das kleine Segel am Stummelmast nicht viel Vortrieb bringen wird. Andererseits wäre eine Überfahrt allein mit Sprit nicht zu schaffen. Das kleine Boot könnte das benötigte Volumen nicht bewältigen.

So starten Sie mit den zwei geschleppten Tank-Torpedos. Aber es dauert nicht lange, bis klar ist, dass die Behälter in den Wellen unterschneiden und schließlich undicht werden. Sie drehen um, und installieren statt der Schlepptanks eine 200 Liter fassende Blech-Kapsel mittschiffs. Damit ist deutlich weniger Sprit an Bord, als ursprünglich vorgesehen.

Umso mehr müssen sich die Finnen auf den ohnehin gefassten Plan verlassen, den Motor-Antrieb nur zu nutzen, wenn sie große Schiffe erreichen konnten, die zufällig auf der Atlantik-Route ihren Weg kreuzten. Bei diesen Begegnungen wollen sie ihre Proviant- und Treibstoff-Vorräte auffüllen.

Hilfe vom Frachter

Eine ausgefeilte Strategie ist das nicht. Aber nach einigen Wochen auf See erwischten sie tatsächlich einen brasilianischen Frachter. Von dessen Besatzung erfahren sie auch ihre aktuelle Position, die sie offenbar per Sextant nicht so genau bestimmen können. Es ist eine große Enttäuschung, dass sie zu diesem Zeitpunkt erst 1000 Kilometer Strecke absolviert haben.

Versuch, mit dem Sextanten die Position zu bestimmen
Versuch, mit dem Sextanten die Position zu bestimmen © Kulmala

Aber sie geben nicht auf und verabschieden sich wieder von den Brasilianern. Dabei macht ihnen extreme Hitze zu schaffen. Bis zu 40 Grad im Schatten solle geherrscht haben. Sie versuchen sich mit Plastik-Helmen vor dem Sonnenbrand zu schützen und tauchen trotz großer Angst vor Haien regelmäßig ab ins Wasser. Doch die Haut wird an einigen Stellen wund und entzündet sich. Auf dem Wasser verläuft die Heilung nur langsam.
Dann ändert sich das Wetter. In einem heftigen Sturm kentert die Nussschale. Große Teile des Proviants gehen verloren. Mit letzter Kraft gelingt es, das Motorboot wieder in Schwimmlage zu bringen. Irgendwie schaffen sie es, den Außenborder so zu bewegen, dass sie ihn als seitliches Gewicht zum Aufrichten nutzen können.

Kapitän will sie nicht weiter lassen

Wieder setzen sie ihren Weg fort, bis sie erneut in Schwierigkeiten geraten. Völlig erschöpft und ausgehungert werden sie von einem norwegischen Frachter, der auf dem Weg in die USA ist, gerettet.

Aber die beiden Abenteurer haben immer noch nicht genug. Sie wollen den Atlantik unbedingt bezwingen. Nun ist der Kapitän des Frachters ein Problem. Er hat wenig Verständnis für den Leichtsinn der jungen Männer. Er fühlt sich für ihr Schicksal verantwortlich und will sie nicht ihren Weg fortsetzen lassen.

Mit Engelszungen reden die Finnen auf den Kapitän ein. Er solle ihrem Traum nicht im Weg stehen. Schließlich lässt er sie frisch bestückt mit Proviant und Treibstoff ziehen. Sie schaffen es tatsächlich. Nach 47 Tagen erreichen Muraja und Kulmala mit ihrem kleinen Motorboot Georgetown in Britisch Guayana an der Nordküste von Südamerika.

Der Marino-Werftchef kann es kaum glauben, als die Extremisten wieder in seinem Büro stehen. Aber er hält Wort. Der Lohn für die lebensgefährliche Atlantik-Überfahrt ist ein nagelneuer Mustang-Flitzer.

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