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Bootsarten8 min Lesezeit

Shorthanded – der neue Trend

Große Crews sind out – weniger ist mehr!

Shorthanded – der neue Trend

Im (neuen) Mittelpunkt des Interesses: das Shorthanded-Segeln. Wer gerne einhand oder höchstens mit einer weiteren Person segelt, ist "in".

Von Michael Kunst, veröffentlicht am 09.09.2021

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Warum alleine oder zu zweit derzeit so fasziniert
  • Welche Regatten die Szene in Bezug auf Shorthanded-Segeln beeinflussen
  • Wie der neue Trend in Form von neuen Booten aussieht
  • Welche Ansätze die Werft zum neuen Trend haben
  • Welche Boote "im Kommen" sind
  • Die neue Class30

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Es passiert mal wieder was in der europäischen Seesegler-Szene. Nein, diesmal geht es nicht um Foils, Wing-Sail, drehbare Masten oder andere futuristisch wirkende Hightech-Erfindungen, sondern schlicht um eine andere Form des Segelns und „Miteinanders“ (oder eben nicht) auf Booten. Dass infolgedessen auch die Werft-Industrie umdenken und sich – zumindest partiell – neu orientieren muss, versteht sich da fast schon von selbst.

© transquadra 2021
© transquadra 2021

Shorthanded-Segeln

Im (neuen) Mittelpunkt des Interesses: das Shorthanded-Segeln. Der Begriff kommt aus dem Englischen, wo „hand“ auch als Synonym für ein Crew-Mitglied an Bord steht (eine Hand fürs Boot, die andere für sich). So kam zum Beispiel in der „Verdeutschung“ der Begriff „einhand“ fürs Solosegeln zustande und shorthanded bedeutet entsprechend „mit kleiner Crew“. Meist sind damit Zwei-Personen-Bootsbesatzungen gemeint.
Stand noch bis vor Kurzem in Europa, den USA, Asien und down under in Australien und Neuseeland Seesegeln – Fahrtensegeln häufig, Seeregatta-Segeln nahezu immer – in Verbindung mit größeren Crews, tendiert seit einigen Jahren die Crew-Stärke und analog dazu die Bootsgröße in beiden Seesegel-Kategorien deutlich gen Solo- und „Segeln zu zweit“.

Inspiriert von Hochsee-Regatten

In erster Linie ist für diesen Trend eine adäquate Hochsee-Regattaform verantwortlich, die in Frankreich längst zum State of the Art zählt und zunehmend im restlichen West-Europa und den USA für Begeisterung sorgt: Shorthanded Hochsee-Regatten für Profis über den Atlantik und um die Welt. Natürlich mag es etwas seltsam erscheinen, dass ausgerechnet Extrem-Regatten wie etwa die Mini-Transat (einhand), die Route du Rhum (einhand) oder die Transat Jacques Vabre (zweihand) über den Atlantik oder die Vendée Globe (einhand) um die Welt als Vorbild für einen neuen Trend bis in die Fahrtensegler-Szene ausgemacht wurden. Bei den genannten Regatten werden schließlich High-End-Rennboote in allen Größenklassen und Formen (vom 6,50 m kurzen Mini bis zum 60-Fuß-IMOCA) derart über die Ozeane geprügelt, wie es selbst bei engagierten „Normal“-Seglern niemals möglich sein wird.
Doch wie das häufig so ist mit neuen Trends, entstand auch der „Hang“ zum Shorthanded-Segeln ganz einfach aus Träumen und Wunschdenken im Stile von „was wäre, wenn“ und „das würde ich auch gerne können/machen“ oder „muss ja nicht gleich über den Teich sein, alleine oder zu zweit rund Fehmarn oder Mallorca ist auch toll“.
Das belegen wiederum immer mehr hervorragend organisierte und entsprechend schnell ausgebuchte, junge Shorthanded-Regatten wie etwa das „Silverrudder“ in Dänemark, immer häufiger belegte Shorthanded-Kategorien bei IRC-Events sowie die weltgrößte Regatta „Rolex Fastnet Race“. Auch dort „boomt“ Shorthanded-Segeln mittlerweile prächtig.

Transquadra – ein Traum für Amateure

Als Trendsetter – auch für die Werften – kann jedoch eine Shorthanded-Regatta bezeichnet werden, die bis vor Kurzem außerhalb Frankreichs nur wenigen bekannt war, bei den segelverrückten Franzosen jedoch längst Kultstatus hat: die Transquadra.
Dieses Transat-Rennen für Solo-Segler und/oder Zwei-Personen-Crews wird bereits seit 1993 alle drei Jahre ausgetragen und führt in zwei Etappen über den Atlantik in die Karibik. Ausschließlich Amateure sind für die Regatta zugelassen und die Teilnehmer müssen über eine gewisse Altersreife verfügen: erst wer 40 Jahre jung oder älter ist, darf mitspielen.

©transquadra
©transquadra

Einige suchen „nur“ das Abenteuer, an so einer Transatlantik-Regatta zu finanziell machbaren Bedingungen teilzunehmen, andere sind logischerweise Ergebnis-orientiert. Der Clou bei dieser Regatta: Um hohe Anfahrtskosten für die Teilnehmer zu sparen, starten für die erste Etappe (im Jahr 2021 bis nach Madeira) zwei Flotten in zwei Häfen: Marseille (Mittelmeer) und Lorient (Atlantik). Nach der ersten Etappe wird mehrere Monate gewartet, bis es in die zweite Runde geht, hinüber in die Karibik. Schließlich können sich Amateure nicht einfach mal so mehrere Monate „Sabbatical“ leisten und wollen/sollen nach Vollzug der ersten Runde für ein paar Wochen wieder zurück an den Arbeitsplatz.
Spannend ist vor allem das stetig steigende Leistungsniveau der Teilnehmer und die steil nach oben führende Anfragen-Kurve. Was per se für einen deutlichen Trend spricht und mehr und mehr die Werften beschäftigt. Überhaupt hat die Transquadra bereits reichlich die Szene beeinflusst. Wurde die Transat anfangs noch auf Kreuzern oder eher ungeeigneten Einheitsmodellen (Sélection, First Class10) gefahren, so ist sie im Laufe der Jahre zur Domäne von Bootsbauern geworden, die ihre Modelle der Transquadra entsprechend ausrichteten. Immer wieder ein bisschen breiter, ein bisschen leichter, mit zwei Rudern – aber immer im Rahmen des IRC-Regelwerks.

Einfluss auf die Werften

Ein echter Trendsetter wurde die Regatta nach der Ausgabe 2005, als die Werft JPK mit ihrem neu entwickelten Modell 960 gleich beide Kategorien gewann, also einhand und zweihand. Was wiederum den (damals) größten Konkurrenten Jeanneau ins Spiel brachte. Seitdem reagieren beide Werften immer wieder aufeinander. 2010 schlug die JPK 10.10 die Sun Fast 3200, die es dafür zu einem echten Verkaufsrenner brachte (mehr als 250 Boote in 11 Jahren). Es folgten JPK 10.80 und Sun Fast 3600 und 2019 kamen die Sun Fast 3300 und die JPK 10.30, die beide insbesondere für die Transquadra entwickelt wurden. Und in diesem Jahr bestehen zwei Drittel der Flotte aus Sun Fast (3200, 3600, 3300) und JPK (960, 10.10, 10.80 und 10.30).
Erfolg zieht Konkurrenz an – also mischte sich auch die J-Werft ein.

J99 © j-boats
J99 © j-boats

Deren schnelle Boote sind zu einem großen Teil für den Regattaeinsatz konzipiert, sprechen aber auch Cruiser-Segler mit gewissem Anspruch ans Geschwindigkeitspotential an. Die J 99 ist also eindeutig fürs Shorthanded-Segeln gemacht, hat aber mit einer eher suboptimalen IRC-Bewertung kaum eine Chance gegen die o.g. anderen „Transquadra-Renner“. Egal, es wurde trotzdem ins Shorthanded-Segeln investiert, was sich prompt in den Verkaufszahlen der J 99 niederschlug: 100 Boote wurden innerhalb von zwei Jahren weltweit ausgeliefert. Tendenz weiterhin steigend.

Sinneswandel Richtung „weniger ist mehr“

Was folgt ist eine einfache Rechnung: Immer mehr Leute interessieren sich fürs Shorthanded Segeln + immer mehr Werften bauen dafür besonders geeignete Boote + immer mehr Regatten bieten genau diesen Traum vom „einsam (oder fast) auf der großen weiten See an“ = summa summarum ein neuer Trend, der auch wirtschaftliche Erfolge verspricht.

In Frankreich gibt es (neben den oben erwähnten) mittlerweile einige Werften, die den Sinneswandel vieler Segler „weg von großen Crews, hin zu kleinen Teams respektive zum Solosegeln“ längst erkannt und positiv umgesetzt haben. Allen voran die Werft Pogo Structures, deren Boote und Yachten in allen Größenklassen seit jeher auch einhand gesegelt werden können. In Regatten, die nach IC-Handicap gelistet werden, machen die Pogos jedoch keine gute Figur, weil sie zu leistungsstark und deshalb mit Restriktionen in der Bewertung belegt sind. Was bei der Werft niemanden zu stören scheint, denn deren Auftragsbücher sind auf Jahre hinaus gut gefüllt. Übrigens, der erste große Verkaufserfolg der Werft war die Pogo 8,50 – überragende Siegerin bei der Transquadra 2002.

pogo30 © pogo
pogo30 © pogo

Doch die darauf folgenden Modelle wollte man eigens für die IRC-Regeln nicht kastrieren. „Wieso ein Boot deutlich langsamer machen, nur um ein paar veralteten Regattavorgaben zu folgen?“ ist aus den Mitarbeiter-Reihen der Werft zu vernehmen. Was fast schon ein Verkaufsslogan sein könnte.
Wer genauer hinschaut, findet bei manchen Modellen anderer, großer und kleiner Werften zumindest den Hinweis, dass man „mit diesem Boot auch „shorthanded oder gar einhand segeln“ könne.

Bis zu den Fahrtenseglern

Unter Fahrtenseglern, die bislang ihre Boote und Yachten aus der Kategorie „Perfomance Cruiser“ wählten, kommt der Trend augenscheinlich auch gut an. Mit der Argumentation „Keine Lust mehr, dauernd eine vier- bis sechsköpfige Crew terminlich unter einen Hut zu bekommen“ werden kleinere, häufig auch leistungsfähigere Boote angeschafft.
Und dass es zwischendurch sogar ein olympisches Intermezzo gab, bei dem die IOC-Gewaltigen mal wieder den Segelsport auf den Kopf stellen und eine Langstreckenregatta im Shorthanded-Modus ins Programm aufnehmen wollten, letztendlich dann aber doch widerriefen und mit fadenscheinigen Argumenten aus dem Programm strichen, dürfte auch gewisse Begehrlichkeiten geweckt haben.

Dehler 30 OD © dehler
Dehler 30 OD © dehler

So ist etwa auch die 2019 vorgestellte Dehler 30 OD zu erklären. Sicherlich spielte der Gedanke an eine mögliche olympische Teilnahme vor deren Absage eine gewisse, vielleicht sogar primäre Rolle. Doch auch als starker 30-Fuss-Renner macht das Boot eine klasse Figur und wird gut geordert. Auch – besser: obwohl – für die Dehler das IRC-Ranking dem eines 36-Fußers entspricht.
Ein anderes, ebenfalls vielversprechendes, aber außerhalb eines vernünftigen und konkurrenzfähigen IRC-Rankings liegendes 30 Fuß-Konzept ist die Aeolus AP 30. Der Beweis, dass auch kleinere, auf wenige Typen spezialisierte Werften auf den neuen Trend setzen.

aeolos ©aeolos composites
aeolos ©aeolos composites

Neue Klasse – Class30

Apropos IRC und neuer Trend. Ende 2020 haben sich Mitglieder der französischen Union Nationale de la Course au Large gemeinsam mit den „Hütern der IRC-Formeln“, dem britischen Royal Ocean Racing Club zusammengesetzt. Um ihrerseits einen Beitrag zum neuen Trend zu leisten. Sie schrieben einen Wettbewerb für Konstrukteure und Werften aus, um gleich eine neue Klasse zu kreieren: die Class 30.
Diese 30-Fuß langen/kurzen Boote sollen in erster Linie als preiswerte Clubboote „Ausbildungsboote für zukünftige Shorthanded-Segler“ gelten, zudem eine neue Ära im One-Design-Regattasegeln einläuten – im Rahmen der IRC-Regeln, versteht sich.
Wie stark der Trend zu den kleinen Crews derzeit ist, zeigte sich allein schon in der Anzahl der eingereichten Entwürfe. Mehr als 30 landeten auf den Schreibtischen der Jury, acht kamen in die engere Wahl: vier französische, zwei italienische, ein amerikanisches und ein deutsches. Der Sieger dieses Wettbewerbs ist ein in der weltweiten Hochseeregatta-Szene bekanntes und vor allem bewährtes Duo aus französischen Designern und Werft: VPLP und Multiplast.

Die neue Class30 © giorgio vecchio/vplp
Die neue Class30 © giorgio vecchio/vplp

Ihre Version vom neuen Shorthanded-Regattasegeln erinnert an die größere Schwester Class 40, die u. a. ebenfalls von diesem Duo gebaut wird. Voluminöser, an Scows erinnernder Bug, extreme (Gleit)-Breite achtern, null bis wenig Komfort, dafür reichlich Segelfläche.
Die neue Class 30 soll ab Herbst 2022 in Serie gehen, das Interesse vor allem an der preisgünstigen Basis-Club-Version scheint bereits jetzt enorm zu sein.

Was das alles mit Gebrauchtbooten zu tun hat? Ganz einfach: neue Trends eröffnen neue Möglichkeiten. Und gerade unter den shorthanded-geeigneten Booten, die bisher den Markt besetzten, dürfte bald ein gewisser Eigner-Wechsel stattfinden. Zum Vorteil von Käufer und Verkäufer.

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