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Mit dem «Soft Wing» geht die Post ab

Einblicke in die aktuelle America's Cup Segeltechnologie

Mit dem «Soft Wing» geht die Post ab
Profilmast und das doppellagige Großsegel als aerodynamische Einheit © Luna Rossa Prada Pirelli

Die aktuelle America's Cup Klasse braucht zum Fliegen 140 PS. Schon bei einem lauen Lüftchen geht die Super-Segelsause los. Der Schlüssel dazu ist das effiziente wie vielseitige «Soft Wing»-Großsegel.

Von Erdmann Braschos, veröffentlicht am 16.03.2021

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • warum die neue AC 75 Klasse so schnell ist
  • wie 8 t auf 1,5 qm große Foils kommen und oben bleiben
  • wie lange schon an der Aerodynamik dafür geforscht wird
  • welche Bausteine woher kommen
  • warum die America's Cupper immer mit dichten Schoten segeln
  • wie die Besegelung an die Windstärken angepasst wird

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Es ist erstaunlich, wie 140 PS zum Abflug bereits bei einem lauen Lüftchen von drei Windstärken zustande kommen. Den Vortrieb eines AC 75 America's Cuppers liefert das 135 bis 145 Quadratmeter Großsegel und die Fock. Sie wird je nach Wind in fünf verschiedenen Größen mit 90, 78, 67, 56 und 45 qm gesetzt.

Mit perfekt profilierten Segeln bleiben die Boote in der Luft
Mit perfekt profilierten Segeln bleiben die Boote in der Luft © Luna Rossa Prada Pirelli

Beim üblichen Segelboot steht der Mast in Fahrtrichtung starr an Deck. Wie ungünstig der Übergang vom dicken Mast zum dünnen einlagigen Segeltuch ist, war dem süddeutschen Segler Manfred Curry bereits in die Dreißigerjahren klar. Er hatte in der Dessauer Versuchsanstalt von Hugo Junkers die Aerodynamik von Mast und Segeln untersucht. Messreihen 1938 in einem Windkanal in Boston bestätigten eine deutliche Leistungsminderung des Großsegels infolge des bremsenden Wirbels hinter dem Mast (um etwa 18 Prozent).

Currys Mastverkleidung zur Verbesserung der Strömungsverhältnisse
Currys Mastverkleidung zur Verbesserung der Strömungsverhältnisse © Manfred Curry: Regatta-Segeln. Die Aerodynamik der Segel, Delius Klasing Verlag

In den Dreißigerjahren gelang es, mit profilierten und drehbaren Masten an Bord von 30er Schärenkreuzern diesen Nachteil etwas zu mindern. Knud Reimers hatte es bei "Korybant" erstmals versucht. Der bremsende Wirbel hinter dem Mast aber blieb.

Bei Schnellseglern wie Eissegelschlitten oder Mehrrümpfern spielt die Aerodynamik eine größere Rolle. Der polnische Segler und Strömungsforscher Prof. Czeslaw Antony Marchaj beschrieb in den Sechzigerjahren, dass ein Profilmast mit parabelförmiger Vorderkante ideal wäre. Für den nahtlosen Übergang zum Segel gab es allerdings noch keine praktikable Lösung. Damals wurde von Holz- und Alumasten, von Baumwoll- und Polyestersegeln umgestellt.

Bremsende Wirbel im Großsegel hinter dem Mast
Bremsende Wirbel im Großsegel hinter dem Mast © Marchaj: Aerodynamik und Hydrodynamik des Segelns, Delius Klasing Verlag

Ein AC 75 segelt bei ganzen 2 - 3 Windstärken mit acht Knoten los, kriegt seine 8 Tonnen bei 18 kn Fahrt aus dem Wasser und beschleunigt dann zügig auf 30 kn. Raumschots und bei mehr Wind werden es 40 - 50 kn.

Hydraulik statt Leine für die Großschot
Hydraulik statt Leine für die Großschot © Southern Spars

America's Cupper machen ihren eigenen Wind

Der selbst gemachte Fahrtwind überlagert den wahren Wind derart, dass ein AC 75 mit dem scheinbaren Wind an Bord seine eigenen Bedingungen schafft. Wie bei den Regatten vor Auckland zu sehen, sind die Boote immer mit flachen Segelprofilen unterwegs. Es spielt keine Rolle, ob sie kreuzen oder von Luv nach Lee mit einigen Halsen über die Bahn brettern. Am besten ist das bei Rundung der Luvtonne zu sehen, wo die Segel trotz haarnadelartiger Kursänderung kaum gefiert werden. Der deutsche Schnellsegel-Spezialist Dr. Martin Fischer, er arbeitet für das italienische Prada Pirelli Team, berichtet: "Der Winkel des scheinbaren Windes ändert sich bei Rundung der Bahnmarke von etwa 12 auf 20 Grad." Man braucht ein gutes Instrument, um das zu erkennen.

Entwicklungsschritte zum Soft Wing-Großsegel der aktuellen AC 75 America's Cupper
Entwicklungsschritte zum Soft Wing-Großsegel der aktuellen AC 75 America's Cupper © Southern Spars

Eine Herausforderung für die AC 75 Konstrukteure ist die große Geschwindigkeitsspanne. Die Situation ist mit dem Wechsel zwischen 250 km/h Start/Landung und 800 km/h Reiseflug eines Passagierflugzeuges vergleichbar. Die Profiltiefe dazu wird beim Flugzeug mit aus- oder eingefahrenen Landeklappen angepasst. Bei den America‘s Cup Booten geht es etwas einfacher.

Der Mast ist ein starres, vorne parabelförmiges Profil, an dessen 45 Zentimeter breiter Hinterkante zwei Tücher nebeneinander angebracht sind. Der Mast ist drehbar. Damit wird der Windanschnitt und die Wölbung des gesamten Profils an die Windstärke und Richtung angepasst. Geht es beim Lossegeln, wenig Wind oder Kursen mit halbem oder achterlichem Leichtwind darum, die maximale Kraft zu entwickeln, wird der Mast bis zu 35 Grad aus der Fahrrichtung gedreht. Die Verstellvorrichtung dazu ist bei den Neuseeländern oben an Deck zu sehen, bei den anderen AC 75 unter Deck angebracht.

Das an Deck anliegende Großsegel unterbindet den Druckausgleich um das Unterliek
Das an Deck anliegende Großsegel unterbindet den Druckausgleich um das Unterliek © Southern Spars

Mit dem Mast verbundene innen am Doppelsegel angebrachte Latten biegen die Tücher beim gedrehtem Mast in das gewünschte Profil.

Der Mast und das doppellagige Großsegel sind aerodynamisch eine Einheit

Beim Beschleunigen des Bootes wird das Segel dicht geholt – bis es bei dreißig Knoten als flaches Brett wirkt. Synchron zur Beschleunigung wird das Segel hydraulisch dicht geholt. Zwei weitere Zylinder übernehmen zwischen den Segeln die Feinjustage beider Tücher. Auch der Traveller wird hydraulisch bewegt. Er ist wie die Trimmklappen beim Flugzeug ständig in Bewegung.

Die Deck anliegende Schürze des Großsegels verhindert den Druckausgleich um die Segelunterkante herum.
Der resultierende bremsende Wirbel erhöht den sogenannten "induzierten Widerstand". Bisher ließ er sich mit an Deck anliegenden Vorsegeln bei Regattabooten immerhin etwas vermeiden. Die AC 75 bieten den Endplatteneffekt jetzt an beiden Segelunterkanten.

Bei viel Wind lässt das Großsegel getwistet oben Druck raus
Bei viel Wind lässt das Großsegel getwistet oben Druck raus © Luna Rossa Prada Pirelli

Der America's Cup wird bei 2 bis 5 Windstärken gesegelt. Die Segelfläche wird mit gerade mal 15 Prozent verkleinerter Fläche mit den erwähnten fünf verschiedenen Fockgrößen angepasst. Das reicht, weil es angesichts der Geschwindigkeit maßgeblich um den scheinbaren Wind geht. Er dominiert den wahren Wind. Fischer zufolge gibt es weitere Tricks, einer davon ist Twist im Großsegel. Da lässt sich oben gezielt Druck aus dem vielseitigen "Soft-Wing" nehmen.

Die America's Cup Segeltechnologie Stand 2021 ist die Summe von "forward thinking" - seit hundert Jahren.

Herreshoff + Curry + Marchaj + moderne Materialien

Das doppellagige Segel meldete Francis Lewis Herreshoff bereits 1927 zum Patent an.

Das Herreshoffsche Patent für doppellagige Vor- und Großsegel zwecks besserem Windanschnitt
Das Herreshoffsche Patent für doppellagige Vor- und Großsegel zwecks besserem Windanschnitt

Manfred Currys Studien zum besseren Windanschnitt mit strömungsgünstig verkleidenden Masten, Latten und Blechsegeln bahnten die Sache an. Marchajs Studien im Windkanal der Universität Southampton bewiesen die Annahmen mit genaueren Messreihen.

Drehbare Profilmasten sind bei Eisseglern, Speedfreaks und Mehrrümfern schon eine Weile üblich.

All das zusammen in heutiger Machart ergibt den aktuellen AC 75-America's Cup "Soft Wing". Dank seiner Effizienz braucht er weniger Fläche als übliche Großsegel. Anders als starre Profilsegel lässt es sich nach der Regatta leicht abtakeln.

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VG