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Plattbug: Lieber rund als spitz

Ist der Scow- oder Plattbug eine Alternative im Serienbootsbau?

Plattbug: Lieber rund als spitz
Der Plattbug von Simon Kosters «Eight Cube» © Christophe Breschi/Classe Mini

Bei der Classe Mini ist mal wieder eine (R)Evolution im Gange. Schon im nächsten Jahr sollen die ersten Serien-Minis mit Scow- bzw. Plattbug zu Wasser gelassen werden. Was sich bei den Prototypen längst bewährte, hält nun auch Einzug im Serienbau. Ein Signal für die zukünftigen Kleinkreuzer großer Werften?

Von Michael Kunst, veröffentlicht am 26.12.2017, aktualisiert am 28.03.2023

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Die Vor- und Nachteile des Scowbugs am Beispiel der Mini 6.50-Klasse.
  • Argumente des Scow-Bug-Pioniers Raison.
  • Neu und doch schon alt: Den Scowbug gibt es seit mehr als Hundert Jahren in der Yachtszene.

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Das Podium der Mini Transat 2017 war vor allem in der Prototypen-Wertung in mehrfacher Hinsicht beeindruckend. Zum einen wegen seiner Internationalität in einer ansonsten stark französisch geprägten Klasse (1. Ian Lipinski/ Frankreich, 2. Jörg Riechers/Deutschland, 3. Simon Koster/Schweiz) und auch wegen einer technischen Besonderheit ihrer Boote. Denn alle drei Proto-Minis zierte ein Platt-, Magnum- respektive Scow-Bug – diese auf den ersten Blick seltsam erscheinende, runde Bugform, die an ein bestimmtes Eis am Stiel erinnert und daher seinen Spitznamen seit Erscheinen des ersten Prototyps nicht mehr loswird.

Traum-Podium für Monsieur Raison

Tatsächlich hat der Scow-Bug in den letzten Jahren einen kleinen Siegeszug in der Mini-Prototypen-Klasse geschafft. Nahezu alle Neukonstruktionen werden mit der runden Form konzipiert, auch weil man sich damit eine bessere Performance auf Foils erhofft.

Foils kamen zwar bei dieser Mini Transat nur in einem Boot zum Einsatz (Arkema), das folgerichtig auch einen Plattbug hat, doch ansonsten glänzten die Seitenschwerter mit Hub-Effekt durch Abwesenheit. Was wiederum einen guten Grund hatte: Simon Koster wie auch Jörg Riechers, deren Scow-Boote ursprünglich für die Aufnahme der «Flug-Foils» ausgerichtet waren, verzichteten auf Foils, weil sie damit noch zu wenig Erfahrung sammeln konnten und letztendlich nicht rundherum von ihrer Effizienz auf den Weiten des Atlantiks überzeugt waren.

Wem das Mini Transat-Podium mit Sicherheit, Tränen der Rührung und Freude in die Augen trieb, ist der Franzose David Raison. Der erfolgreiche Mini-Segler und Bootsbauer war nämlich der Erste, der einem Mini den Plattbug verpasste. Vor nunmehr acht Jahren verkaufte er seine Eigentumswohnung, um sich in einem finanziell riskanten Projekt (110.000 Euro Baukosten) an den ersten, von ihm selbst erbauten Mini mit runder Scow-Bugform zu wagen. Eine Wette, die aufging: 2011 siegte er souverän auf seinem Mini 747, den er dann auch gleich «Magnum» nannte, bei der Mini Transat. Sein Vorsprung auf den Zweitplatzierten (mit klassischer Bugform) betrug 23 Stunden.

Seitdem zeichnete und konstruierte David Raison bereits mehrere Mini-Prototypen mit der Scow-Bugform, die sehr erfolgreich unterwegs sind. So stammen etwa Ian Lipinskis Siegerboot (seit mehr als zwei Jahren ungeschlagen) und die «SeAir», ein vielversprechender, foilender Prototyp, aus der Feder des französischen Scow-Bug-Pioniers. Doch der größte Coup – auch wirtschaftlich – dürfte sein kürzlich angekündigter Einstieg in den Serienbootsbau sein.

Eine (R)Evolution

Die französische Werft IDBmarine (bereits erfolgreich mit den Cruiser-Racern Malango und Mojito) bat Raison ans Reißbrett, um eine kleine Revolution einzuläuten: der erste Serien-Mini mit einem Scow-Bug mit dem richtungsweisenden Namen «Maxi 650».

Damit so ein Projekt auch wirtschaftlich gelingen kann, muss u. a. natürlich die zukünftige Konkurrenz «abgeklopft» und eingeschätzt werden. Was gibt der Markt her? Wo sind die wichtigsten Konkurrenten auszumachen und welche reellen Chancen gibt es in der an sich doch eher kleinen Ministen-Szene? IDBmarine erklärte in diversen Interviews mit französischen Fachzeitschriften und Segel-Blogs: «Wer bei den Serienminis als Konstrukteur und Werft erfolgreich sein will, muss an den Pogo 3 vorbei. Doch das sind gute, technisch ausgereizte Boote, die im Serienbau nur schwer zu schlagen sind. Also dachten wir uns, einen völlig neuen Weg zu beschreiten!»

Auf diesem wolle man auch von gewissen Nachteilen profitieren, die man dem Pogo 3-Mini nachsagt. So wiederholt David Raison immer wieder, dass der Pogo 3 zwar sehr schnell sei, aber als wenig komfortabel und vor allem als sehr nass in der Welle gelte. Dagegen sei Scow-Segeln eine trockene Angelegenheit und die Stabilität auf raumen Kursen unter großer Spi-Segelfläche eine Fahrt wie auf Schienen und auch für gestandene Ministen ein echtes Erlebnis. Er wolle einfach wieder mehr Spaß in die Serienwertung der Classe Mini bringen, sagt Raison PR-trächtig.

Nun ist das mit der Einschätzung der Konkurrenz immer so eine Sache. Denn ohne eine mehr oder weniger große Portion Subjektivität ist das nur schwer möglich. So stellte beispielsweise Jörg Riechers nach seinem sensationellen zweiten Rang auf dem Scow-Prototypen «Lilienthal» etwas konsterniert fest, dass seine Atlantik-Überquerung eine durchweg nasse Angelegenheit gewesen sei – Plattbug hin oder her. Und auch Sieger Lipinski hat bereits mehr als einmal klargestellt, dass Mini-Segeln eben Segeln am Limit sei. Was wiederum auf den Ozeanen per se eine nasse Angelegenheit ist und bleibt.

Jörg Riechers Plattbug «Lilienthal» ist der bislang jüngste Scow in der Mini Prototypen-Klasse
Jörg Riechers Plattbug «Lilienthal» ist der bislang jüngste Scow in der Mini Prototypen-Klasse © Offshore Team Germany

Mehr als nur «trocken» segeln

Doch natürlich verspricht man sich bei IDBmarine mit einem Scow-Serien-Mini Maxi 650 mehr als nur trockeneres Segeln. Vielmehr gehen Konstrukteur Raison und Werft davon aus, dass sie mit dem Scow-Bug und einem entsprechend angepassten Rumpfdesign definitiv schneller sein können, als der bisherige Spitzenreiter unter den Serienminis, die Pogo3. Deren Bugbereich übrigens auch schon auffällig fülliger ist, als bei der Konkurrenz, jedoch noch weit von einer Scow-Form entfernt bleibt.

Maxi650 wird der erste Serien Mini mit Plattbug. Eine echte (R)Evolution
Maxi650 wird der erste Serien Mini mit Plattbug. Eine echte (R)Evolution © IDBmarine

«Ich habe schon damals mit dem Bau des Prototypen 747 radikal anders gedacht,» stellt David Raison klar. «Wenn du erfolgreich sein willst, musst du die ausgetretenen Pfade verlassen. Doch im Serienbau sind – streng nach Klassenregeln – eben nur bestimmte Wege möglich. Man kann nicht einfach mal so die Richtung ändern!»

Entsprechend gibt es dort eben keinen Schwenkkiel, der den zukünftigen Serien-Scow mal eben schnell mit ordentlich Druck auf raumen Kursen auf Kurs hält. Raison argumentiert weiter, dass ein breites, vorderes Viertel des Bootes enorm mehr Stabilität in der Krängung und vor allem Auftrieb auf raumen Kursen nach sich zieht. «Das haben wir in vielen Vergleichsfahrten mit unterschiedlichen Proto-Minis klar bewiesen,» sagt Raison. Und damit wolle er den Geschwindigkeitsgewinn von 1 bis 2 Knoten im Vergleich zu einem Pogo 3 erreichen – vorausgesetzt, es weht mit einer Windstärke von mindestens acht Knoten. Bei Schwachwind bis Flaute bremse der Scow-Bug vor allem in einer noch so harmlosen Welle extrem ab.

Von hinten kaum von anderen Serien-Minis zu unterscheiden
Von hinten kaum von anderen Serien-Minis zu unterscheiden © IDBmarine

Konstruktionsbedingt müssen sich Raison und die IDBmarine-Werft bei der «Maxi 650» an die von der «Classe Mini» vorgeschriebenen Maße (Länge 6,50 m, Tiefgang 1,60 m bei fest installiertem Kiel) halten. Raison will in gleichen Gewichtskategorien wie die Pogo 3 (+-5 kg) bleiben, was trotz der breiteren Fläche im vorderen Bereich mit modernen Infusionsverfahren keine Probleme bereiten dürfte.

Anderes Segelverhalten

Tatsächlich scheint es in Bezug auf die zukünftige Geschwindigkeit eines Scow-Serien-Minis nur eine Hürde zu geben – die Segler an der Pinne! Denn in einem Punkt sind sich die oben erwähnten Scow-Mini-Champions in der Kategorie Prototypen mehr als einig: Plattbugsegeln ist etwas völlig anderes als bei den herkömmlichen «spitzen» Bugvarianten.

So berichtet etwa Jörg Riechers, der bereits die Welt auf IMOCA-Open-60-Fuß-Yachten umrundete, seit Jahrzehnten im Mini-Zirkus mitmischt und auf der Class 40 hervorragende Transatlantik-Ergebnisse ersegelte, von
speziellem Segelverhalten – im positiven wie im negativen Sinne. «Wenn man am Wind an der Windkante eine Böe erwischt, muss man beim Scow-Bug abfallen (!), um Krängung aus dem Schiff zu nehmen,» erklärt Riechers. Eine von vielen Segeltechniken, an die man sich erst gewöhnen müsse.

Sogar Ian Lipinski, seit zwei Jahren auf seinem Plattbug in der Prototypen-Klasse ungeschlagen, berichtet seit jeher von einer völlig anderen Herangehensweise an die Langstreckensegelei, seitdem er auf der «neuen» Bugform unterwegs ist. Auch bei ihm fällt öfters der Vergleich mit dem Segelverhalten von Katamaranen.

Um offiziell als Serienboot bei der «Classe Mini» und somit für die Mini Transat anerkannt zu werden, müssen mindestens zehn «Einheiten» des neuen Serien-Minis gebaut worden sein. Eine Hürde, für die David Raison nur ein müdes Lächeln übrig hat. «Direkt nach Bekanntgabe unseres Projektes sind bereits mehr als zehn feste Bestellungen für den Maxi 650 eingegangen.» Zukünftige Abverkaufsprobleme kann auch IDBmarine nicht ausmachen – man sei da sehr optimistisch, ist aus Kreisen der Werft zu hören.

Nichts Neues und doch so neu

Schon jetzt ist absehbar, dass die segelverrückten Franzosen mit dem Scow-Bug-Design eine neue Nische im Serienbootsbau einnehmen wollen. Genau wie sie vor einigen Jahren mit fahrtentauglichen Mini-Nachbauten wie der «Django» einen Kleinkreuzerboom auslösten oder mit breiten Hecks den Spaß an langen Gleitfahrten auf raumen Kursen auch für Fahrtensegler befeuerten, kann davon ausgegangen werden, dass sich schon in Kürze die ersten Serienfahrtenyachten mit der runden Magnum-Bugform durch die Ozeane schieben werden.

Was übrigens, weltweit betrachtet, nichts wirklich Neues wäre: Scow-Bugs gibt es auf Yachten verschiedener Größen traditionell schon seit mehr als 100 Jahren an der US-Ostküste, auf den großen US-Binnenseen und in Australien. Doch auf so richtig lange Strecken haben sich damit bisher nur ganz wenige vermeintlich «Verrückte» getraut. Was David Raison mit seinem Scow-Serien-Mini baldmöglichst ändern will.

Die National-A-Scows in den USA – seit Ende des 19. Jahrhunderts Action auf 38 Fuß Länge
Die National-A-Scows in den USA – seit Ende des 19. Jahrhunderts Action auf 38 Fuß Länge © www.ascow.org

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