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Abenteuer8 min Lesezeit

«Alles andere ist zu einfach!»

Meisterleistung oder Wahnsinnstat? 1992 segelte Ant Steward im offenen 5,80 m-Boot um die Welt.

«Alles andere ist zu einfach!»
Einhand-Weltumseglung im offenen Einrumpf-Boot © Screenshot aus Youtube-Video �Anthony Steward�

Der Südafrikaner Anthony «Ant» Steward segelte 1992 in mehreren Etappen alleine um die Welt – in einem 5,80 m kurzen Boot ohne Kajüte oder Unterschlupf.

Von Michael Kunst, veröffentlicht am 07.12.2022

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Porträt eines Draufgängers unter den südafrikanischen Seglern
  • Die Story einer Weltumseglung, die andere als „Wahnsinn“ bezeichneten.
  • Ant Steward begegnete Gefahren, die man besser als Alpträume bezeichnen müsste
  • Der Weltumsegler wollte „alles anders machen als die Anderen“ – und wäre beinahe gescheitert

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Weltumseglungen sind heutzutage sowas von "normal" geworden! Ob mit der Familie auf großen, speziell für die Langfahrt ausgerüsteten Segelyachten, ob im Duo mit Freund oder Freundin auf eher sportlich ausgerichtetem Boot, ob als Rekordfahrt auf millionenschweren Rennyachten oder auf vier Meter kurzen Mikro-Booten – es sind kaum noch Grenzen gesetzt! Doch was immer wieder spannend ist und bleibt, sind die Anfänge der großen "Rundum-Törns". Als Weltumseglungen noch Sensationen und die gesegelten Boote noch keine schwimmenden Lofts waren. Als noch kernig gesegelt wurde, ohne Medien-Begleitschiff, ohne Sponsor, ohne Facebook-Likes und Twitter-Applaus.

Nur für Draufgänger

Ant Steward war einer dieser (weißen) südafrikanischen Draufgänger-Sportskanonen, bei denen keiner so richtig wusste, wo das Sportliche aufhörte und der Fanatismus begann. Ein Mann mit fließendem Übergang zwischen Langeweile und Exzess. Warum ausgerechnet so einer beim Segeln landete und nicht etwa Rugby bei den „Springbocks“ spielte oder vielleicht Weiße Haie vor Kapstadt fütterte, wird wohl für immer (s)ein Geheimnis bleiben.
Und wie er segelte! Der große, eher kräftig gebaute (damals) 28-Jährige schaffte es seinerzeit immerhin zum südafrikanischen Meister im Finn Dinghy und segelte erfolgreich auf internationalen Regatten der Einhand-Jolle.
Ant war zudem ein gefragter Grinder auf den großen Regatta-Pötten und wurde immer wieder als Steuermann zu den Clubregatten in der Bucht vor Kapstadt verpflichtet. Doch irgendwann hatte er die ewige Bojenrunderei satt und wollte weiter raus.
Klar, er hätte jetzt einen Kredit aufnehmen, ein Schiff vom Steg klauen oder vielleicht auch einen Hochseedampfer selbst bauen können. Nur, das hätte alles zu lange gedauert, wäre mittelfristig wahrscheinlich langweilig geworden und überhaupt wäre so etwas „Alltägliches“ keine echte Herausforderung für Ant gewesen.

Suche nach ultimativer Herausforderung

Nein, der junge Südafrikaner machte sich auf die Suche nach einem „echten Abenteuer“. Dafür streckte er die Fühler aus, segelte öfters im Team bei internationalen, großen Hochseeregatten mit.
Als er mit einem Kollegen auf einem 9m-Boot rund Kap Horn segelte und dort sein Deck im Sturm von den Brechern besenrein gefegt wurde, wandte er sich dann auch folgerichtig nicht entsetzt vom Segelsport ab, sondern stellte fest, dass es selbst aus extremsten Situationen immer noch irgendwo einen Ausweg gibt. Und genau damals begann “seine“ Idee in ihm zu reifen, die ihn für den Rest seines Lebens prägen sollte. Ant wollte der Erste sein, der alleine in einem offenen Boot um die Welt segelt. Das entsprach in etwa seinem Verständnis von abenteuerlichem Segeln – „alles andere war lächerlich einfach, konnte ja jeder!“ sagte er später in einem Interview.

5,80 m kurzer Daysailor

Ant kaufte die TLC „Zulu Dawn“, Prototyp eines 5,80 m Serien-Kajütboot, das auch heute noch häufig vor den südafrikanischen Küsten gesegelt wird und taufte sie für den Törn in „NCS Challenge“ um. Die Proto-Version sollte eigentlich ein Daysailor für 3-4 Mann im Trapez werden – entsprechend leicht fiel das Gewicht des Rumpfes aus. Doch der angehende Solo-Segler baute sich den Rumpf (nach seinem Verständnis) zu einem seegängigen, offenen One-Off um und aus – da er keine Werkstatt finden konnte, wurde ein Großteil der Arbeiten zu Hause im Appartement erledigt.

Kurz: Alles, aber auch wirklich alles, was man damals übers Seesegeln und die Weltumseglung im Besonderen wusste, wurde von Ant Steward geflissentlich ignoriert. Er wollte alles anders machen – bis auf einen Punkt: Wohl wissend, dass ihn schwerste Seebedingungen erwarten, sollte sein Boot in jeder Wetterlage selbst aufrichtend reagieren. Und, man weiß ja nie: Auf die Unterseite des Rumpfes pinselte er in riesigen Buchstaben SOS.

Das Glück herausgefordert

Fünf Tage nach seinem Start in Kapstadt (1992) konnte Ant gleich mal ausprobieren, wie das mit dem – zuvor lange geübten! – Aufrichten nun auf hoher See klappt: Nach der ersten Kenterung wurde der Solo-Segler ins Wasser geworfen, doch er hing noch an der langen Lifeline am Boot. Das richtete sich tatsächlich Sekunden später wieder auf und fuhr weiter – mit Ant im Schlepp, mehr oder weniger den Tod durch Ertrinken vor Augen. Doch gleich beim ersten Mal konnte sich Ant zu der als „hirnverbrannt“ bezeichneten Idee, seinen Törn in so einem kleinen und leichten Boot zu machen, gratulieren. Denn mit seinem Gewicht schaffte er es tatsächlich, das leichte Boot in den Wind ziehen. „Ich war kaum losgesegelt und hatte schon mein ganzes Glückskontingent verbraucht,“ erinnert er sich später. „Weil: dies war bis dahin das erste Mal in meinem Leben, dass ich überhaupt eine Lifeline trug!“

Ant Steward folgte der klassischen Handelsroute im südlichen Atlantik: Kapstadt, St. Helena, Karibik, Panama. Er verlor noch vor St. Helena einen Großteil seiner Karten bei der nächsten Kenterung, trieb mehrere Tage unkontrolliert durch die See, weil er nach einer Vergiftung (roher Fisch) von einer Ohnmacht in die andere fiel. Er verpasste die Insel Ascension, weil er seinen Sextanten beschädigt hatte und musst den über ihm fliegenden Tölpeln folgen, die ihn zur „Himmelfahrtsinsel“ führten.

Tanker zum Anfassen

In einer Flaute wurde er beinahe von einem Schiff auf offener See gerammt, das 20 m an ihm vorbeirauschte. Auf Barbados war er als weißer Südafrikaner ganz und gar nicht willkommen: Wegen der internationalen Sanktionen gegen den Apartheidstaat verbrachte Ant zwei Tage und zwei Nächte nach Ankunft „auf Reede“, bevor er an Land durfte. Von St. Maarten aus flog Ant Steward mal schnell nach Newport zur Preisverleihung des BOC Challenge, an dem er 91/92 teilgenommen hatte …

Zwischen der Karibik und Panama erlebte er dann die haarsträubendsten Abenteuer. „Die Wellen waren so hoch und kamen von allen Richtungen, dass ich erstmals um das Boot fürchtete,“ gab Ant später zu Protokoll. Ein Fischer hatte ihn gewarnt: „Du brauchst keine Angst davor haben, dass dich andere Schiffe rammen. Die Wellen sind so hoch, dass sie dich und dein Boot einfach über die Schiffe drüberwerfen!“ Seemannsgarn, dachte sich Ant, fuhr einfach los … und bekam prompt eins auf die Mütze: 40-50 kn Windstärke, entsprechender Seegang. Der Segler im offenen Boot wurde zum Spielball der Wellen.
„Doch gerade in diesen Extremsituationen festigte sich mein Vertrauen zu meinem Boot,“ erinnerte sich Ant später. Denn die leichte Nussschale schwamm wie ein Korken immer obenauf, auch in extremsten Situationen. Und Gefahr drohte sowieso von ganz anderer Seite:
In der sprichwörtlichen Ruhe nach dem Sturm, nur 30 sm vor Panama, wird der schlummernde Ant von der Bugwelle eines Tankers geweckt, die sein Boot zur Seite fegte. „Eine Minute lang starrte ich auf die haushohen Stahlwände dieses Monstrums, das in ein paar Metern Entfernung an mir vorbeirauschte!“

Pazifik – nichts für schwache Nerven

Den südlichen Pazifik empfand Ant zunächst weniger aufregend. Er segelte wochenlang in aller Ruhe und ohne größere Vorkommnisse zu den Galapagos-Inseln und danach – „entspannt im Stil der Polynesier“ – Richtung Bora-Bora.

Auf dieser Strecke waren dann wieder Nerven wie Drahtseile gefordert: Er verlor fast seinen Kiel, als er mit einem treibenden Baumstamm kollidierte. Und nach Mastbruch in einem „mittelstarken Sturm“ landete er schließlich mit Notrigg auf Samoa. Doch die Hurrikan-Saison nahte, und der Ersatz-Mast wurde wochenlang nicht geliefert. Also startete er mit einer ungewöhnlichen Konstruktion: Er verband Baum und Spinnakerbaum, schnitt seine Genua zu einem Groß zurecht und segelte so kurz vor dem aufziehenden und bereits angekündigten Hurrikan „Cleo“ davon.

Der Mast wurde schließlich nach Brisbane geliefert, dort das Boot „refitted“ und Ant segelte die „NCS-Challenger“ zunächst von Hafen zu Hafen nach Darwin, dann zu den Weihnachtsinseln. Am 13. Juli 1992 erwischte ihn auf der nächsten Etappe ein Sturm. Kenterung, Mastbruch, es kam, wie es kommen musste.

Fischfutter

Nach einer Horrornacht auf dem Wasser trieb er manövrierunfähig auf ein Korallenriff. Der Rumpf der „NCS-Challenger“ wurde stark beschädigt und auf das Riff geworfen. Ant schwamm, blutend, ein paar Hundert Meter rüber zu einer Insel, eine Schwimmstrecke, die zum Schlimmsten zählte, was er je erlebt hatte. „Ich war von Haien umgeben, die schon an mir knabberten. Es war verdammt knapp!“
Auf der Insel (Cerf Island der Seychellen) verbrachte er neun Tage ohne Süßwasser, ernährte sich nur von Kokosnüssen, bis ein Fischerboot auf seine Signalfeuer reagierte. Die Fischer brachten Ant in ein Hospital und holten sogar noch die „NCS Challenge“ vom Riff weg.
Eine Woche später wurden Bootsrumpf und Skipper an Bord eines Handelsschiffes nach Südafrika zurückgebracht, wo Ant das Boot während seiner Flitterwochen mit seiner Frau Sue reparierte.
„Das entwickelte sich ebenfalls zu einer Herausforderung, aber der ganz anderen Art,“ erzählte Ant später. „Meine Frau war doch etwas erstaunt, dass ich während unserer Flitterwochen im Prinzip meine Tage am Boot verbrachte – okay, aber abends und nachts hatte ich dann ja wieder Zeit!“

Schwierige letzte Tage

Wochen später brachte ein Frachter Mann und Boot unentgeltlich wieder zurück nach Cerf Island – Ants Abenteuer hatten sich mittlerweile in Südafrika herumgesprochen, er war bekannt wie der sprichwörtliche „bunte Hund“.
Der Rest ist Geschichte. Ant durchstand sieben weitere Stürme, „hüpfte“ schließlich von Hafen zu Hafen entlang der südafrikanischen Küste, musste einmal drei volle Wochen wegen Sturm abwarten; er rammte einen Wal, was sein Schiff wirklich übel nahm und beinahe mit Sinken quittiert hätte. Beinahe.
Ant erlitt mehrere körperliche Zusammenbrüche, weil eine längst als „ausgeheilte“ Erbkrankheit wieder ausgebrochen war und ihn zu regelmäßiger Medikamenteneinnahme zwang. Doch diese Medikamente waren nicht immer in ausreichender Menge an Bord …

Dennoch hielt Ant verbissen an seinem Plan fest, diese Weltumrundung zu vollenden.
Was ihm 1993 schließlich gelang. Als er in die Bucht von Kapstadt einlief, warteten Dutzende Segelschiffe auf ihn und geleiteten ihn zum Pier, wo Tausende seine Ankunft feierten. Mehr als zwei Jahre in der südlichen Hemisphäre auf einem Mini-Boot unterwegs – Ant Steward hatte Unmögliches gewagt. Und (knapp) gewonnen!

Epilog. Wenige Jahre später startete Ant Steward in einem 20 Fuß-Kajütboot zu einer Einhand-Nonstop-Weltumseglung, die mitten auf dem Atlantik aufgrund eines Kabinenbrandes endete. Mit schweren Verbrennungen wurde Ant ins Krankenhaus eingeliefert.

Später wurde Ant Manager des Royal Yacht Clubs in Kapstadt, steuerte ein Schiff beim Kapstadt-Rio-Race und arbeitet heute bei einer Katamaran-Werft. Freunde behaupten, das sei ein gutes Zeichen – bald gebe es bestimmt den nächsten „Mad-Man’s-Trip“ à la Ant Steward.

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