Abenteuer7 min Lesezeit

Wildes Huhn und cooler Skipper

Einhand um die Welt mit einem Huhn auf der Pinne – geht’s noch verrückter?

Wildes Huhn und cooler Skipper
Guirec Soudée © VoyagedYvinec

Der 24-jährige Franzose Guirec Soudée segelte mit seinem Huhn Monique, später auch mit Hund Bosco rund um Nord- und Südamerika. Ein episches Abenteuer, das jedoch eine überwältigende Segelkarriere überhaupt erst einläutete.

Von Michael Kunst, veröffentlicht am 11.12.2016, aktualisiert am 16.12.2022

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Ein junger Franzose lernt in einem Hafen „Monique“ kennen.
  • Das „chick“ geht mit an Bord und bleibt dort – eine ganze Weltumseglung lang.
  • Monique lernt steuern, Wellenreiten, Schlittenfahren und legt zum Dank ein Ei – täglich.
  • Das Paar erregt auf der ganzen Welt enormes Aufsehen.
  • Monique schreibt sogar ein Buch für Kinder!
  • Skipper Guirec Soudée steht für Abenteuer par excellence!

Artikel vorlesen lassen

Neulich hat ein berühmter französischer TV-Moderator in seiner Outdoor-Sendung gesagt, dass all diese Märsche durch Patagonien, dieses Bezwingen der höchsten Gipfel und das Erforschen entlegener Wüsten und Urwälder nichts im Vergleich zu dem wäre, was manche Blauwassersegler so leisten. Recht hat der Mann, auch mit dem, was er noch hinzufügte: «Es gibt wohl nirgendwo sonst so verrückte Typen, wie bei den Einhandseglern.»

Nun ist das mit dem «verrückt» und dem «Segeln» so eine Sache. Die einen finden schon die Überquerung des Ärmelkanals auf einem Optimisten ausgesprochen «irre», für die anderen beginnt der Status des «Durchgeknallten» dagegen erst nach einer Solo-Atlantiküberquerung in einer Mikro-Nussschale von drei Metern Kürze (siehe Es kommt auf die Kürze an!).

Wie auch immer man den Grad des «nicht ganz Alltäglichen», vulgo: Unnormalen auch definieren mag, unter den Langfahrtseglern sind tatsächlich einige Typen dabei, über die man Bücher schreiben könnte (wenn nicht schon längst geschehen) und die sich durchaus den Status eines Paradiesvogels verdient haben.

Guirec Soudée
Guirec Soudée © VoyagedYvinec

Zwei bunte Vögel

Der erst 24-jährige Franzose Guirec Soudée hatte das mit dem Paradiesvogel jedenfalls wörtlich genommen. Mal ganz abgesehen davon, dass er auf einer ziemlich betagten, aber höchst verlässlichen (wie sich rausstellen sollte) Scorpion 9 Mal eben so als 21-Jähriger zu einer Weltumseglung aufbrach.

11,80 Meter lang ist die «Yvinec», ein Stahlschiff aus dem Jahre 1985, auf dem er «nur wenig umbauen musste», wie er des Öfteren zu Protokoll gegeben hatte. Erstens, weil er sowieso keine Ahnung von diesen Basteleien habe und zweitens, weil er in die Erbauer, ein segelverliebtes Paar aus Rouen, die das Schiff im Garten auf Kiel legten, tiefstes Vertrauen habe. Also einfach lossegeln, nachdem er das Schiff offenbar für einen höchst anständigen Preis erworben hatte. 2014 war das und bis zu den Kanaren schipperte er tatsächlich alleine. Dort lernte er Monique kennen.

"Chick on board" mal wörtlich genommen

Das wäre nun für die Langfahrtszene kein ungewöhnliches Ereignis – junge Skipper lernen bekanntlich andauernd Damen in den Häfen kennen (umgekehrt gilt das natürlich auch) – wüsste man nicht, dass es sich bei Monique um ein Huhn handelt. Ja, richtig gelesen: Guirec Soudée freundete sich mit einer Legehenne an, brachte sie an Bord seiner «Yvinec», führte das erfreut gackernden Tier ein bisschen herum, lockte wohl auch mit einem schmackhaften Dinner aus Körnern und Fischstückchen und erhielt schließlich von Monique das Ja-Gackern für eine gemeinsame Weiterreise.

Der Deal: Monique legt dem Skip möglichst jeden Tag ein frisches Ei, damit dessen Proteinhaushalt in den Wasserwüsten keine Mangelerscheinungen aufweist. Und dafür bringt Guirec seiner Monique coole Sachen wie Segelbootsteuern im Passat, Surfen, Skateboarden und, ja, tatsächlich auch Schlittenfahren bei.

Guirec Soudée
Guirec Soudée © VoyagedYvinec

… und jeden Tag ein Ei

Liest sich alles ein wenig bescheuert? Ist aber die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Tatsächlich segelten Guirec Soudée (einhand) und Monique (acht Krallenzehen, sitzend auf der Pinne) einen Langfahrt-Törn, der es in sich hatte: Auf der Barfuß-Route über den Atlantik, ein Jahr Island-Hopping in der Karibik, entlang der US-Küste nach Grönland, einen Winter lang eingeschneit im Packeis, die Nordwest-Passage nach Alaska, auf dem Pazifik entlang der Küsten Nord- und Südamerikas, Kap Hoorn, erneut der Atlantik und zurück in die bretonische Heimat. Premiere für ein Huhn und – zumindest in der Nordwest-Passage – Premiere für den jüngsten Einhand-Segler, der jemals die berüchtigte Passage durchsegelte.

Hoher Abenteuer-Faktor

Zwischendurch verdiente Guirec Geld mit Gelegenheitsjobs und entwickelte ein "Händchen" für die Selbstdarstellung in den sozialen Medien. Die Fotografien und Video-Aufnahmen seiner Abenteuer machten weltweit Furore, seine Internet- und Facebook-Auftritte gemeinsam mit Huhn Monique sind längst legendär. Der junge Bretone schrieb (und veröffentlichte) Bücher und trat als Ghostwriter für "Monique" in Aktion, die in ihrem Buch vor allem Kindern von ihren Weltumseglungs-Abenteuern erzählte.

Überhaupt ging der "Deal" mit Monique bestens auf. Das Huhn steuerte mit zusätzlich gelegten Eiern, die an andere Langfahrtsegler verkauft wurden, ihren Anteil bei. In der standesgemäß gemeinsam verbrachten Freizeit löste wiederum Guirec sein Versprechen ein und brachte der Henne das Surfen auf dem SUP-Board, Skateboarden und – gemeinsam mit Inuit-Kindern – Schlittenfahren bei.

Guirec Soudée
Guirec Soudée © VoyagedYvinec

Bei alledem empfand Guirec den hohen Norden als das größte Abenteuer. Einen Winter respektive vier Monate lang im Packeis eingefroren – das muss man den beiden Paradiesvögeln erstmal nachmachen. Doch, von wegen «Hühnchen, tiefgefroren». Die beiden lebten den ewig erscheinenden Winter, mehr als 30 Kilometer von der nächsten Inuit-Siedlung entfernt, putzmunter und mit einigen Abenteuern, die so garantiert nie wieder von einem anderen Segelpaar erlebt werden.

Dabei bewies Monique, dass Legehennen durchaus Arktis-fähig sind. Auch wenn sie zuvor von den Einheimischen wie ein kleines Weltwunder betrachtet wurde: Die meisten Inuit hatten noch nie ein lebendes Huhn gesehen – lediglich abgepackt in rosige Scheiben geschnitten im Supermarkt-Kühlregal.

130 Tage verbrachten die beiden in ihrem meist dunklen, unwirtlichen Kosmos und Monique legte 105 Eier in dieser Zeit. Nur wenn Eisbären in der Nähe waren, verkroch sich das Federvieh lieber in den Tiefen des Stahlrumpfes der «Yvinec». Ansonsten waren so oft, wie nur möglich, Spaziergänge in unmittelbarer Umgebung des Schiffes angesagt, wobei Guirec – wegen der Eisbären grundsätzlich mit einem Gewehr bewaffnet – Wert darauf legte, dass Henne Monique nur bis minus 30 Grad aufs Packeis durfte. Bei noch niedrigeren Temperaturen wäre das Geflügel sonst wohl tiefgefroren.

Guirec Soudée
Guirec Soudée © VoyagedYvinec

Warten auf die freie Passage

Ab Mai lockte die Nordwest-Passage, nicht nur, weil meteorologische Langzeitprognosen für 2017 eine relativ eisfreie Passage vorhersagten. Sondern auch, weil sich Stahlschiff «Yvinec» hervorragend im Packeis gehalten hatte und weiterhin seinem Ruf als robuster Abenteuer-Segler alle Ehre macht. «Natürlich ist mir Monique im Winter eine große Hilfe gewesen», resümierte der junge französische Abenteurer süffisant. «Aber der eigentliche Star dieses Abenteuers ist unser Schiff. Es gibt für solche Reisen nichts Besseres als einen Stahlrumpf. Wir sind vielleicht nicht die Schnellsten, aber wir kommen überall durch!»

Der Rest ist Geschichte. Mann, Huhn und Boot bezwangen 2017 tatsächlich die Nordwest-Passage, nahmen in Alaska einen ausgesetzten Hundewelpen an Bord und machten fortan zu dritt den Pazifik unsicher. Sie segelten weit in den Pazifik hinein, legten südlich von Kap Hoorn am antarktischen Kontinent an, segelten ostwärts bis zum Kap der Guten Hoffnung, querten nochmals den Atlantik bis Brasilien und segelten darauf den letzten Schlag gen heimatliche Bretagne, wo sie 2019 schließlich festmachten.

Abenteu(r)er ohne Ende

Losgesegelt war Guirec als milde belächelter Spinner, der sich die Hörner abstoßen muss. Zurück kam er 2018 als Erfolgssegler, bei dem jede Verrücktheit als "genial" bezeichnet wird. Dazwischen lagen faszinierende Abenteuer: Begegnungen mit Walen, Delphinen, Eisbären, Pinguinen. Ganz zu schweigen von den Elementen, die dem jungen Bretonen, seinem Boot und seiner tierischen Crew oft arg zusetzten: Mehrere Kenterungen in epischen Stürmen, Packeis, das den Rumpf des Bootes zu zermalmen drohte. Ganz zu schweigen von den gefürchteten Begegnungen auf Hoher See mit Tankern, Containerriesen und Frachtschiffen, die häufig die Route des kleinen Stahlbootes kreuzten. Immer dabei: Monique, das coolste "Chick", das sich jemals auf dem Deck eines Bootes sonnte.

Es folgten die in Frankreich üblichen Presse-, Radio- und TV-Interviews, ein "abendfüllender" Film als Zusammenfassung seiner tierischen und seglerischen Abenteuer sowie insgesamt drei Bücher, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden und sehr gute Verkaufserfolge erzielen.
Huhn Monique und Bosco, der Hund, sind mittlerweile auf der Insel Yvinec – ja, genau, so heißt auch das Stahlboot, auf dem das Duo/Trio in arktische und antarktische Regionen segelte – auf festem Untergrund, aber eben unweit vom geliebten Ozean unterwegs.

Guirec Soudée
Guirec Soudée © VoyagedYvinec

Und Guirec? Der hat noch lange nicht genug von der See, dem Ozean, den Meeren. 2021 ruderte er solo über den Atlantik – und zwar hin und zurück, zusammen über 10.000 Seemeilen. Sein einziges Problem dabei: Für Huhn Monique als Co-Skipperin war das Boot letztendlich zu klein. "Ohne das Chick war es richtig langweilig!" behauptete der Abenteurer Guirec nach seiner Rückkehr.

Doch damit nicht genug. Seit 2022 segelt Guirec Soudée auf einem älteren IMOCA bei den prestigeträchtigen Hochseeregatten der 60-Fuß-Klasse mit. Einhand, versteht sich. Sein enormer und anhaltender Bekanntheitsgrad hat dem jungen Segler geholfen, eine Kampagne im großen Stil zu eröffnen. Die ersten großen Sponsoren haben den hohen Aufmerksamkeitswert erkannt, den man mit dem Rookie in der IMOCA-Klasse erreichen kann. Und obwohl sein Boot nicht gerade zur siegträchtigen, letzten Generation zählt, segelt Guirec doch "erstaunlich gut mit", wie er das in Interviews bezeichnet.
Auch hier ohne Monique, weil eben Tiere an Bord nach den IMOCA-Regeln verboten sind. Des Weltumseglers großes Ziel: die Vendée Globe, die berühmt-berüchtigte Einhand-Nonstop-Weltumseglungsregatta. Im Herbst 2024 will Guirec Soudée mit seinem IMOCA "Freelance.com" an der Seite der ganz großen Hochseestars über die Startlinie segeln. Ein weiteres Abenteuer, das dem jungen Segel-Abenteurer neue Sympathien bei zehntausenden Fans einbringen wird.
Doch das ist und wird eine ganz andere Geschichte…

Wer sich Guirecs Ratschlag zu Herzen nehmen möchte: Für kernige Erlebnisse in mehr oder weniger wilden Gewässern kann ein robuster Rumpf tatsächlich nicht schaden. Auf Boat24 finden Sie jedenfalls einige (Stahlschiff Segelboot und Stahlschiff Motorboot), die Sie sicher ins Abenteuer und wieder zurückbringen werden. Es muss ja nicht gleich die Nordwest-Passage sein.

Video

Weiterführende Links