Motoren und Technik4 min Lesezeit

Kreuzfahrt unter soliden Segeln

Ein alternativer Kreuzfahrtschiff-Entwurf mit Konzentration auf das Wesentliche: Segeln.

Kreuzfahrt unter soliden Segeln
Bis zu 60 Prozent Treibstoffeinsparung durch die SolidSails © STX France

Ist «Silenseas» nur die x-te Vision für eine zukünftige Kreuzschifffahrt unter Segeln? Oder hat dieses französische Projekt wegen einer Konzentration auf das Wesentliche echte Chancen auf Realisierung?

Von Michael Kunst, veröffentlicht am 04.07.2018, aktualisiert am 05.01.2023

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Silenseas und Solid Sails sollen in Kombination einen völlig neuen Kreuzfahrtschiff-Typus darstellen.
  • Solid Sail: Die mit einem speziellen Verbindungssystem extrem beweglich gehaltenen «Segelbahnen» sind zehnmal robuster und haltbarer als herkömmliches Segeltuch.
  • So wettern 1.000 qm Segelfläche pro Mast bis zu 60 Knoten Wind ab.
  • Salzbuckel Jean le Cam, mehrfacher Vendée Globe Teilnehmer und einer der renommiertesten Hochseeregattasegler der Welt, zeigte sich bei Testfahrten auf einem IMOCA (60-Fuß-Hochseerenner) hochzufrieden mit der Funktionalität des „Solidsail“.

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Eigentlich wollte die internationale Schiffsbaugruppe «STX» schon 2009 mit ihrem Öko-Projekt «Eosas» ganz groß rauskommen – buchstäblich. Damals stellte das koreanisch-norwegische Unternehmen den Riss eines Kreuzfahrtriesen vor, der zu einem nicht unerheblichen Teil von Windkraft angetrieben wurde. Das wahrhaft epische Projekt war ein Pentamaran mit einem Hauptrumpf, der von vier «Schwimmern» umgeben war. 305 Meter sollte der Kreuzfahrt-Motor-Segler lang werden, 60 Meter breit und Raum für 4.600 Passagiere und Besatzungsmitglieder bieten. Auf fünf Masten sollten Tausende Quadratmeter Segelfläche etwa 50 Prozent Treibstoff einsparen – revolutionär für die Kreuzschifffahrt. Aber auch ein «Papiergigant» von dem man schon im Vorfeld wusste, dass er wohl niemals realisiert wird.

Zudem zogen dunkle Wolken über die Schiffsbaugruppe mit 16 weltweit verstreuten Werften auf. Wegen Verlusten in Höhe von knapp 400 Milliarden Euro wurden alle STX-Unternehmen verkauft, behielten aber teilweise noch ihren Namen.

Noch reichlich überdimensioniert und niemals realisiert – die «EOSAS»
Noch reichlich überdimensioniert und niemals realisiert – die «EOSAS» © STX France

Im Westen nichts Neues?

STX France war seit jeher für den Bau von Kreuzfahrtschiffen zuständig und stellte auch einen Großteil der Ingenieure, Techniker und Designer, die seinerzeit für «Eosas» verantwortlich zeichneten.

Die neuen Besitzer von STX France unterstützen weiterhin die Forschung an ökologischen Projekten innerhalb ihres Konsortiums. Wohl wissend, dass hier direkt «an der Zukunft gearbeitet» wird.

Kürzlich stellte STX France nun ein Konzept für das Projekt «Silenseas» vor, bei dem die Macher etwas zurückhaltender dimensionierten als bei «Eosas». Ihr Fokus blieb und bleibt zwar weiterhin auf maximale Treibstoff-Ersparnis durch Einsatz von Windkraft ausgerichtet, letztlich hat man jedoch Abstand von der Gigantomanie genommen und folgt dem derzeit wieder erkennbaren Trend zu kleineren, individueller ausgerichteten Kreuzfahrtschiffen. Obwohl das Anhängsel «Riese» auch bei «Silenseas» noch gerechtfertigt ist.

«Silenseas» zielt dabei eher auf eine Kombination aus Segelyacht und Passagierschiff. Drei Konfigurationen wurden vorgestellt: 85 Meter Länge, Segelfläche 1.350qm für 60 Passagiere, 120 Meter Länge mit 2.800qm Segelfläche für 108 Passagiere und die 190-Meter-Version, mit sieben Decks, 4.350qm Segelfläche für 300 Passagiere (siehe Video).

Drei Versionen sollen von der Silenseas gebaut werden
Drei Versionen sollen von der Silenseas gebaut werden © STX France

Wie lange «halten» eigentlich die Segel?

Um ganz ehrlich zu sein: Bis hierhin reiht sich das Projekt «Silenseas» lediglich in eine immer länger werdende Liste von mehr oder weniger kühnen Visionen ein, deren Realisierung zumindest fragwürdig erscheint. Zwar gibt es den einen oder anderen spannenden Designansatz – wie die Idee, eine Lounge in den Segelbaum zu platzieren – doch sind das alles Kinkerlitzchen, die keinen Einfluss auf eine mögliche Realisierung des Projektes haben dürften.

Was «Silenseas» so besonders und realitätsnäher macht, ist die intensive Beschäftigung der STX-Ingenieure mit dem (für sie) so neuen, zusätzlichen Antrieb: Dem Wind und somit Segel und Rigg (siehe Video Solid Sail).

Wohl wissend, dass hier ein elementarer Schwachpunkt bei all den vorangegangenen Projekten auszumachen ist.

Wie viel Segelfläche kann ein modernes Rigg tatsächlich tragen? Aus welchem Material müssen Segel sein, die lange unter extremen Bedingungen gesetzt bleiben sollen? Wie muss ein Segel aufgebaut sein, damit es auch bei enorm großer Fläche rasch und verlässlich gerefft oder geborgen werden kann? Und wie sollte ein Mast aussehen, der Flächen von 1.000qm und mehr tragen soll?

Antworten auf diese Fragen erhält man von einem neuen STX-Sub-Unternehmen namens «SolidSail», das speziell für die Belange von «Silenseas» gegründet wurde. Nach mehr als fünf Jahren Entwicklungs- und Forschungsarbeit, darunter zwei Jahre intensiver Tests, stellte «SolidSail» nun Segel und einen Masttyp vor, der dem Namen des Unternehmens offenbar alle Ehre macht. Auf einer Segelfläche von über 1.000qm pro Mast sollen so Böen von bis zu 60 Knoten abgewettert werden können. Die mit einem speziellen Verbindungssystem extrem beweglich gehaltenen «Segelbahnen» (siehe Video) sollen zehnmal robuster und haltbarer sein als herkömmliches Segeltuch.

Immerhin sollen mit den soliden Segeln mehr als 60 Prozent Treibstoff gespart werden – Grund genug also, sie so lange wie möglich pro Törn «oben zu lassen»!

Hochseehelden sind angetan

Zahlreiche Tests auf Segelyachten aller Größen – letztlich aber noch nicht vergleichbar mit der Größe der anvisierten «Silenseas» – sollen bewiesen haben, dass mit «SolidSail» ein perfektes System für einen dauerhaften Einsatz unter widrigsten Bedingungen gefunden wurde.

Sogar Salzbuckel Jean le Cam, mehrfacher Vendée Globe Teilnehmer und einer der renommiertesten Hochseeregatta-Segler der Welt, zeigte sich bei Testfahrten auf einer IMOCA (60-Fuß-Hochseerenner) hochzufrieden mit der Funktionalität des «Solidsail».

Als Mastsystem stellt «Solidsail» einen frei stehenden Typ vor, der 360 Grad dreht. Mit einer Höhe (Wasserlinie bis Mastspitze) von angepeilten 103 Metern wären dann die «Silenseas»-Versionen 120 und 190 dreißig Meter höher als das größte bisher gebaute Kreuzfahrtschiff, die «Symphony of the Seas». Sie wurde übrigens von STX France an die Reederei Royal Caribbean übergeben.

Sollte «SolidSail» halten, was es verspricht, könnte STX France bald schon einen ökologischen Quantensprung für die internationale Kreuzschifffahrt schaffen. Angeblich zeigen sich bereits mehrere Reedereien an dem Konzept höchst interessiert – hinter verschlossenen Türen wird offenbar intensiv verhandelt.

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