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«America» - die Schicksalsyacht

Geschichte der Yacht, die dem America’s Cup seinen Namen gab.

«America» - die Schicksalsyacht
Seltene Fotografie aus der Zeit ihrer ersten und wichtigsten Regatta vor Cowes © America's Cup

Die Geschichte der Yacht, die dem America’s Cup seinen Namen gab. Auf und Ab eines Traumschiffs, das eine neue Ära des sportlichen Segelns einläutete.

Von Michael Kunst, veröffentlicht am 24.07.2017, aktualisiert am 28.03.2023

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Die Geschichte der Yacht, die dem America’s Cup seinen Namen gab.
  • Wie fanatische Segler mit dem nötigen Kleingeld Regatta-Geschichte schrieben.
  • Die „America“ läutete eine völlig neue Ausrichtung im Yacht- und Bootsbau ein.
  • Wie die Yacht „auf den letzten Drücker“ von den USA nach Großbritannien überführt wurde.
  • Die Überlegenheit der America im Duell mit den Briten.

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Der America’s Cup und das «liebe Geld» – beides gehört seit den Anfängen der ältesten, noch durchgeführten Sportveranstaltung der Welt zusammen wie Ebbe und Flut. Das Eine wäre ohne das Andere gar nicht denkbar. Doch wer hätte gedacht, dass es schon zu Beginn, sozusagen in den Geburtswehen der America’s Cup-Historie, regelrechtes Geschachere um Finanzierungen, Kaufpreise und Leistungspotential gegeben hat?

Alle, die sich bereits mit der Geschichte des America’s Cups befasst haben, ahnen, worum es hier geht: Die Rede ist von der Yacht «America». Sie ist seit 1851 der Inbegriff für amerikanische Überlegenheit beim Segeln. Und das schaffte dieser Schoner, indem er lediglich eine einzige Regatta mit einem einzigen Rennen – zugegeben vor erlauchtem Publikum – für sich entschied. Dabei setzte er ein Zeichen, das später von vielen als «die endgültige Beendigung der britischen Vorherrschaft zur See» gewertet wurde. Nicht mehr und nicht weniger.

Bevor Yachten Regatten gewinnen, müssen sie bekanntlich erst erdacht, gebaut und natürlich finanziert werden. Genau daran wäre beinahe das gescheitert, was später als «America’s Cup» in die Annalen der Sportgeschichte eingehen sollte. Ob die Boote heute dann auch über die Wasseroberfläche foilen würden?

Neues Verständnis vom Segeln

Versetzen wir uns in die Mitte des vorletzten Jahrhunderts. In diesen Zeiten entwickelte sich auf den Weltmeeren eine Art Handels-Konkurrenzkampf, bei dem die Geschwindigkeit der Schiffe eine zentrale Rolle spielte. Die berühmten Tea-Clipper Rennen von China nach England werden heute zwar gerne als sportliche Gentleman-Wettkämpfe dargestellt, waren aber nichts anderes als ein mit harten Bandagen geführtes Handelsscharmützel um den besten Verkaufspreis am Zielort.

Das erste Schiff im Hafen von London erhielt den mit Abstand besten Preis pro geladener Tonne Tee. Schiffe, die auch nur einen oder zwei Tage später mit der gleichen Ware anlegten, hatten das Nachsehen und mussten sich mit deutlich niedrigeren Erlösen zufriedengeben.

Siegen – bitte schön in rasantem Tempo

In dieser Zeit änderte sich auch das Verständnis vom Freizeitsegeln auf Yachten. Zwar gehörte es unter den finanziell eher besser Gestellten längst zum guten Ton, bei guter Wetterlage auf eigenen, meist luxuriös ausgestatteten Yachten die Küsten entlangzusegeln. Neu war in diesem Zeitraum jedoch, dass man diese Schönwetter-Törns bitte schön in möglichst rasantem Tempo erleben wollte. Der sportliche Aspekt beim Segeln setzte sich mehr und mehr durch – Motto: Segeln gerne, aber noch lieber, wenn man schneller unterwegs ist als die anderen.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beanspruchten die Briten für sich nicht nur die schönsten und bequemsten, sondern auch die schnellsten Yachten für den Müßiggang auf See. Schon damals wurde auf dem Solent eifrig regattiert. Aber die Briten blieben überwiegend unter sich. Nur in außergewöhnlichen Fällen mischte sich einmal ein französisches oder spanisches Schiff respektive Boot unter die britische Segelflotte.

Schon gar nicht ließen sich Amerikaner blicken. Allein die Anfahrt über den Atlantik mit all’ ihren Risiken, vor allem aber Unannehmlichkeiten, schreckte Yachtbesitzer der US-Ostküste ab. Dazu kam ein wenig auch die nagende Gewissheit, dass sie mit ihren zwar bequemen, aber auch stäbigen und behäbigen Kuttern – die immerhin zunächst eine Atlantik-Überfahrt überstehen müssen – nicht den Hauch einer Chance gegen die britischen, schon im Ansatz filigraneren Yachten hätten.

So kam es, dass kurz nach Gründung des (heute legendären) New York Yacht Clubs ein gewisser John Cox Stevens mit anderen Gründungsmitgliedern zusammen saß. Und sich Gedanken darüber machte, wie man einerseits mehr Aufmerksamkeit für den neuen Club erzielen und endlich den als arrogant verschrienen Briten das Heck zeigen könne.

Ganz klar, eine neue, ausschließlich auf Speed ausgerichtete Yacht musste her! Schon damals gab es entlang der US-Ostküste durchaus, begnadete Bootsbauer, enthusiastische Werftbesitzer, talentierte Segelmacher und Rigger, die sich zutrauten, eine ultimative Regattayacht zu zeichnen, bauen und auszurüsten. Nur gab es da ein kleines monetäres Problem: Schnelle Segler waren (wie heute) proportional deutlich teurer als etwa Handelsschiffe oder Fischerboote.

Ziemlich teuer, schon damals!

John Cox Stevens war genau darüber bestens informiert und wusste wie kein Zweiter, wo an der Ostküste der USA die besten Konstrukteure und Yachtwerften mit annähernd vernünftigen Preisvorstellungen zu finden waren. Schließlich war er der Besitzer der damals schnellsten Yacht in der Umgebung, die 97 Fuß lange Sloop «Maria». Und rein zufällig hatte der erste Commodore des New York Yacht Clubs einen jungen, höchst talentierten Yacht-Konstrukteur schon seit Jahren unter seine Fittiche genommen: Der gerade mal 30-jährige George Steers hatte bereits mehrere vielversprechende Yachten gezeichnet, darunter sogar die berühmte «Gimcrack», auf deren Deck der New York Yacht Club feierlich gegründet wurde.

Steers war einer dieser aufstrebenden, jungen Typen, die mit unkonventionellen Ideen «Verrücktes» realisieren konnten und zudem noch einen gewissen Geschäftssinn hatten. Der zeigte sich darin, dass er in der gerade erst aufblühenden Yacht-Szene durchaus Potenzial für ganz Großes entdeckte. Oder anders gesagt: Der junge «Wilde» hatte keinen Bock mehr darauf, Fischkutter oder Lotsenschiffe zu zeichnen. Er wollte mal etwas richtig Schnelles aus dem Reißbrett zaubern und damit langfristig ordentlich Geld verdienen.

Seinen Gönner Cox-Stevens brauchte Steer nicht lange zu überreden und auch die anderen Vereinsmitglieder des neu gegründeten Finanzkonsortiums vertrauten ihm längst. Lediglich für die Wahl der richtigen Werft benötigte man etwas länger, fand aber in der auf Lotsenschiffe spezialisierten Werft von William H. Brown am New York East River den richtigen Partner.

Lotsenschiffe waren damals das Nonplusultra amerikanischer Bootsbaukunst. Sie mussten schnell und bei jedem Wetter zu ihren «Kunden» gelangen und sollten alle Manöver agil ausführen können. Wohlgemerkt, Motoren gab es damals noch nicht auf Schiffen.

Womit wir beim leidigen Thema «Geld» angekommen wären. Denn das Finanzkonsortium um Cox-Stevens musste offenbar ziemlich tief Luft holen und einige Minuten sprachlos verbringen, als sie den Kostenvoranschlag für den Bau der von Steers gezeichneten Yacht «America» erfuhr. Das gerade mal lächerliche 140 Tonnen verdrängende Schiff sollte unverschämte 30.000 Dollar kosten. Eine Unsumme in Zeiten, da man einen Tee-Clipper mit 1.600 Tonnen Verdrängung für 70.000 US-Dollar erwerben konnte. Ganz abgesehen davon, dass man mit dem Clipper nicht nur segeln, sondern reichlich Geld verdienen konnte.

Also begann das Geschachere, schließlich drängte die Zeit. Denn Commodore Cox Stevens hatte die noch nicht einmal auf Kiel gelegte Yacht längst für die «Royal Yacht Squadron Regatta» im Solent angekündigt, die anlässlich der Weltausstellung in London einen besonders hohen Aufmerksamkeitswert auf der ganzen Welt haben sollte. Der Plan des NYYC war simpel: Vor den Augen der Queen sollte die «America» die englische Segelelite düpieren.

Nur – muss das so viel Geld kosten? Es wurde eine Klausel ausgehandelt, die sicherstellte, dass man die Yacht nicht «abnehmen» müsse, wenn sie innerhalb von 20 Tagen nach Übernahme von einer anderen amerikanischen Yacht geschlagen würde. Ferner wurde vereinbart, dass man die «America» an die Werft zurückgeben könne, sofern sie bei der Regatta im englischen Solent von einer Yacht vergleichbarer Größe geschlagen würde.

Entweder muss die Werft bereits einen Nachkäufer in petto gehabt haben oder aber sie war sich ihrer Sache wirklich sehr sicher, um solche Klauseln in einem Vertrag zu akzeptieren!

Ein 5 Mio. Euro teurer Nachbau während einer VIP-Ausfahrt
Ein 5 Mio. Euro teurer Nachbau während einer VIP-Ausfahrt © ACEA / Gilles Martin Raget

Faszination unter Segeln

Am 17. Mai 1851 wurde die «America» an das Finanzkonsortium des NYYC übergeben. Mehrere Chronisten aus der damaligen Zeit berichten nach den ersten Ausfahrten der Yacht, dass man noch nie ein so radikales und gleichzeitig faszinierendes Schiff unter Segeln gesehen habe. Die verhältnismäßig tief liegende «America» hatte einen Rumpf in «British Racing Green» (wie man heute spitzfindig sagen würde) – eine Farbe, die in den USA bis dato nur kaum an größeren Segelschiffen verwendet wurde.

Doch die auffälligsten Merkmale stellte das zweimastige Leichtschonerrigg, das mit extremem Mastfall auf den Rumpf gepflanzt war. Es sei eine konsequente Weiterentwicklung der Lotsenschiffe, wie Konstrukteur Steers offiziell erläuterte. Ebenfalls «neu» war der enorme Überhang des hinteren Großbaums, der schon rein optisch eine deutliche Übertakelung suggerierte.

Die Kiel-Form hatte Steers von den Tee-Clippern «entliehen» – später wird sie hauptsächlich für die «sagenhafte Geschwindigkeit» der «America» verantwortlich gemacht. Ballast segelte man, damals mittschiffs, nicht im Kiel. Last but not least, setzten die Amerikaner Segel aus heimischer Baumwolle, während die Engländer auf Leinensegel schworen.

Max Oertz, der legendäre deutsche Yacht-Konstrukteur, würdigte 50 Jahre später im Jahre 1901 in einem Vortrag die revolutionären Eigenheiten und Linie der «America» wie folgt (Auszug): «In der Amerika waren die Wasserlinien von außerordentlicher Schärfe und Hohlheit, der Deplacements-Schwerpunkt lag außergewöhnlich weit achtern und auch im Schnitt der Segel wich die Yacht von allem Gebräuchlichen ab. Mag der vorzügliche Stand der Segel ebenfalls seinen Teil zu dem Erfolg beigetragen haben, so waren die Segel-Eigenschaften der America (…) doch derartig verblüffende, dass die America mit Recht als der Ausgangspunkt einer gänzlich neuen Richtung im Yachtbau bezeichnet werden kann. Sowohl diesseits wie jenseits des Ozeans.»

Schon kurz nach den ersten Probeschlägen vor New York stellte sich die «America» dem im Vertrag geforderten Duell mit einer anderen Yacht und … verlor! Bei der Benennung des gegnerischen Schiffes sind sich die Chronisten übrigens nicht einig. Von der deutlich größeren Slup «Maria» des John Cox Stevens ist die Rede, aber auch von einer nicht mit Namen bezeichneten «leichten Rennyacht, die bei der ersten Begegnung mit echten Atlantikwellen außerhalb des Regatta-Gebietes vor Sandy Hook auseinander gefallen wäre».

Vielleicht handelte es sich bei den Beschreibungen ja um ein und dasselbe Schiff? Tatsache ist jedoch, dass sich Cox-Stevens mit der Werft auf einen Kaufpreis von 20.000 Dollar einigte, auch wenn man nach der Regattaniederlage nicht zu einer Abnahme verpflichtet gewesen wäre. Die Zeit drängte zu sehr, Queen Victoria war von der Herausforderung der Amerikaner bereits informiert, überhaupt galt es, das Gesicht zu wahren! Und eine Reduktion des Kaufpreises um ein Drittel war schließlich auch was wert.

Am «1. Juni 1851 begann die «America» mit ihrer Transatlantikfahrt nach Le Havre, die nur 20 Tage dauerte, was einem Etmal von 12 Knoten entsprach. Nicht schlecht, bei fünf Tagen Flaute mitten auf See! Die Yacht nutzte für die verschleißende Überfahrt die Segel einer anderen US-Yacht, und man hielt die «guten Regattasegel» brav unter Deck verstaut. Nachdem sie in einer französischen Werft drei Wochen lang «aufgemotzt» wurde, segelte die «America» nach Cowes, von wo aus die legendäre Regatta «One Hundred Pounds Cup», offen für alle Nationen starten sollte.

Der Rest ist x-mal erzählte Sportgeschichte. Die «America» gewann tatsächlich mit großem Vorsprung gegen 14 britische «Renn»-Yachten, segelte an Queen Victoria vorbei und dippte dreimal frech grüßend die Topflagge. Auf ihre Frage, wer denn nun Zweiter sei, wurde der Königin beschieden: «Es gibt keinen Zweiten, Majestät». Ein Satz, der später zu einem Leitspruch beim America’s Cup werden sollte.

John Cox Stevens verkaufte die «America» gleich nach der Regatta an einen britischen Lord, der das Schiff nach Umbauten im Mittelmeer für Kreuzfahrten einsetzte. Verkaufserlös: 25.000 US-Dollar. Stevens stiftete den Pokal «seinem» NYYC und begründete später damit den America’s Cup. Der seinen Namen also nicht nach der Nation, sondern nach der Yacht erhielt!

September 25 – Steers America
September 25 – Steers America © George Steers

Der Weg alles Irdischen

Der begnadete George Steers konnte sich nach dem Sieg der «America» vor Aufträgen kaum noch retten. Er gründete mit seinem Bruder eine Werft und landete im Jahre 1857 den Deal seines Lebens, als der russische Zar Yachten im Wert von einer Million US-Dollar bei ihm orderte. Doch Steers konnte sich nur kurze Zeit in seinem Ruhm sonnen – er starb Wochen später bei einem Unfall mit einem Pferdefuhrwerk.

1863 wurde die «America» in die USA zurückgekauft, wo sie kurz darauf im amerikanischen Bürgerkrieg aufseiten der Nordstaaten eingesetzt wurde. Später segelte sie unter diversen Eignern wieder Regatten (3. Mai 1851 bis 27. Juli 1901: 51 Regatten, 12 Siege). 1921 wurde sie von der US-amerikanischen Marineakademie erworben, wo sie jedoch in einem Schuppen vor sich hin rottete.

Dessen Dach brach 1942 nach schweren Schneefällen ein. Nach Kriegsende wurde die traurigen Überreste der «America» geborgen, auf Restaurierungstauglichkeit untersucht und schließlich abgewrackt. So ging die legendäre Yacht, die der heute ältesten Sporttrophäe der Welt den Namen gab, den Weg alles Irdischen. Ein Ende auf See blieb ihr jedoch verwehrt.

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