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Abenteuer4 min Lesezeit

Ein «Monster», vom Ozean bezwungen

Aufstieg und Untergang eines spektakulären Hochsee-Renners.

Ein «Monster», vom Ozean bezwungen
Katamaran Team Philips © Henri Thibault

Als Elsbeth im März des Jahres 2000 zur Flasche griff, ging ein Seufzer durch die Menge. Kaum eine(r) der Anwesenden hätte gedacht, dass die britische Königin jemals ein Seemonster taufen würde. Und schon gar nicht, dass ihr dabei ein schnöder Markenname über die Lippen kommen könnte. «Ich taufe Dich auf den Namen Team Philips», rief ihre königliche Hoheit dem Monster zu. «Und wünsche Dir allzeit guten Wind!» Den letzten Satz soll Queen Elizabeth allerdings eher gemurmelt als gesprochen haben – ein schlechtes Omen?

Von Michael Kunst, veröffentlicht am 08.12.2022

Das erwartet Sie in diesem Artikel
  • Ein faszinierender Katamaran: Auf jedem Schwimmer stand ein Rigg.
  • Bereits die Taufpatin war spektakulär.
  • Bei nahezu jedem Törn gab es reichlich Bruch.
  • Bevor „Team Philips“ bei „The Race“ an den Start gehen konnte, ging das Monster unter.

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Aber wer dachte schon an so etwas, angesichts des (noch nicht) segelnden Wunderwerks, das da vor der alternden Monarchin aufragte: Ein 120 Fuß (37 m) langer und 70 Fuß (21 m) breiter, blauer Katamaran, der ziemlich exakt die Ausmaße des Center-Courts in Wimbledon einnahm. Und mit zwei Masten von 41 m Höhe gespickt wurde – 10 Doppeldeckerbusse übereinander! Überhaupt: zwei Masten?

Tatsächlich, aus jedem Rumpf respektive Schwimmer ragte ein unverstagter, überdimensioniert wirkender Profilmast mit Windsurf-Rigg. Sie standen sich genau gegenüber (Parallelrigg) – die enorme Breite des Kats sorgte dafür, dass keine Windabdeckung entstehen konnte. Eine technische Meisterleistung, die sich freilich erst noch segelnd beweisen musste …

«Not amused» – es musste sich was ändern!

Eigentlich gab es nur einen Grund für den Bau der «Team Philips»:
Endlich wieder die Vorherrschaft der Franzosen auf den Weltmeeren zu brechen. Natürlich ging es zur Jahrtausendwende nicht mehr um imperiale Belange, sondern um Wichtigeres: Die Hochseeregatten über den Atlantik oder rund um den Globus waren fest in französischer Hand und die Queen, die ja immerhin schon Helden wie Francis Chichester oder Robin Knox Johnston zum Ritter geschlagen hatte, war «not amused». Zumindest lautet so die Legende!

Prompt soll der damals dominierende französische Vorzeigesegler Loick Peyron angesichts der ersten Bilder des Monster-Kats gesagt haben:
«Jetzt werden wir nur noch Zweite!»

Loick spielte damit auf «The Race» an: Eine Regatta rund um die Welt mit Start und Ziel in Barcelona, die quasi ohne Regeln mit dem simplen Hunger auf Höchstgeschwindigkeit kokettierte. Was per se so etwas wie ein Aufruf zur Gigantomanie im Segelsport war.

Als nun die «Team Philips» zu ihren ersten Testfahrten ansetzte, segelte ein unfassbar riesiger Zweirumpfer über die Kanal-Gewässer, dessen Anblick die britische Presse zu Ausrufen wie «Monster», «Seeungeheuer», aber auch «engelsgleich», «filigranes Wunder» oder «als wäre es nicht von dieser Welt» animierte.

Doch schon bei den ersten gesegelten Meilen wurde deutlich, dass es sich bei dem Riesen-Kat zwar um etwas nie Dagewesenes handelte, aber auch die Kehrseiten der Medaille ins Kalkül gezogen werden müssen. Oder um es mit den Worten des TP-Skippers Pete Goss zu sagen: «Auf diesem Schiff ritt man immer auf Messers Schneide!»

Abgebrochen, einfach so.

Nur kurz nach der Taufe brach auf Höhe der Scilly Islands bei einem Trainingsschlag gleich der halbe Steuerbordrumpf ab. Einfach so, ohne besondere Vorkommnisse. Die folgenden Reparaturarbeiten verschlangen 250.000 Pfund und, was viel schlimmer war: reichlich Zeit. Denn der Start zu «The Race» sollte schon an Silvester des gleichen Jahres erfolgen.

Also schnell wieder ins Wasser mit dem «Monster» und erneut trainiert. Die nächsten Testschläge beruhigten zunächst die sechsköpfige Crew: Das Schiff lief auch bei 7 Bf. noch «wie auf Schienen», das Parallel-Rigg bewährte sich ganz offenbar. Doch schon Tage später knarzte und krachte es erneut in allen neuralgischen Punkten des Kats – und davon gab es viele. Wie etwa die Mastaufnahme: Der Fuß des unverstagten Mastes auf der Steuerbordseite begann sich darin verdächtig heftig zu bewegen – ein kleiner Testschlag rüber nach New York, der auch als Motivationsschub für die Crew gedacht war, musste schon nach 18 Stunden Raserei abgebrochen werden.

Mit 32 kn in die Wellentäler – ohne Segel!

Mittlerweile wurde an den Londoner Wettbörsen bereits die Teilnahme der Briten an «The Race» in Frage gestellt – das größte Problem sei es wohl, die «Team Philips» zum Start ins Mittelmeer zu schleppen.

Entsprechend genervt rief Skipper Pete Goss seine Crew zu einem letzten, ultimativen Test zusammen. Am 2. Dezember zog ein Tief über die Nordsee und Goss wollte sich und den anderen definitiv beweisen, dass ihre «Team Philips» auch den harten Bedingungen im Southern Ocean gewachsen sein würde.

Doch dieses Tief brachte einen ausgewachsenen Sturm mit. Bei über 12 Bf Windstärke wurde die Crew mit riesigen Wellenbergen konfrontiert, die aus der «Team Philips» buchstäblich Kleinkarbon und -plastik machen sollten. «Es war ein Inferno», berichtete Goss später. «Wir hatten alle Segel unten und rasten nur mit den Masten als Windangriffsfläche noch mit 32 kn in die Wellentäler!» Am 10. Dezember funkte Goss «Mayday» – die gesamte Crew konnte wohlbehalten abgeborgen werden.

Die «Team Philips» wurde aufgegeben und der See überlassen. Die kümmerte sich gründlich um «das Monster» und ließ es fast spurlos für immer verschwinden. Fast.

Epilog

Monate später wurde ein Teil des Steuerbordrumpfes an der irischen Küste angeschwemmt. Der stammte allerdings von der ersten Havarie der «Team Philips» und wurde später für 530 Pfund an einen Sammler verkauft. Der deutsche Weltumsegler Uwe Röttgering entdeckte später auf den Westmännerinseln zwischen anderem Schrott zersägte Rumpfteile, die ein isländischer Fischer gefunden hatte. Röttgering brachte ein kleines Stück des großen Schiffes zur Erinnerung nach Hause.

Pete Goss

Er war damals der britische Offshore-Superstar. Ein Gentleman-Abenteurer, der bei allen großen Regatten erfolgreich mitmischte und dabei noch Heldentaten vollbrachte. Bis heute ist Goss im UK für seine Offshore-Abenteuer bekannt, die allerdings deutlich entschleunigt wurden: Familienreisen im selbstgebauten Kutter von England nach Australien, Nordpolexpeditionen, Atlantiküberquerungen …

Seinen Ruf als Held begründete Pete Goss, als er während der Vendée Globe 96/97 bei einem Hurrikan im Southern Ocean zurücksegelte, um seinen hinter ihm havarierten Kollegen Raphael Dinelli zu retten. Dafür wurde er sogar in die französische Ehrenlegion aufgenommen. Ob das wohl die Queen «amüsierte»?

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